Jenissei und Sajanischen Gebirge, wurden im 10. Jahrhundert durch
die Hakas nach Norden zurückgeworfen, wobei ein Theil derselben O 7
westlich floh und sich im Tiensschan festsetzte. Dies sind die heutigen
Kirghisen, wie sie sich selbst nennen, die Dikokamennyje (d. h. die
in den Bergen wohnenden wilden Kirghisen) der Russen, die Kara-
oder schwarzen Kirghisen der Kassaken', und Buruten*) der Kalmücken
und Chinesen. Sie sprechen einen rein türkischen Dialect,
der dem, welcher im Altai gesprochen wird, sehr ähnlich ist,- aber
bedeutend von der Kassaksprache ab weicht. Im Aeussern unterscheiden
sie sich, nach RadlofF, wenig von ihren nördlichen Nachbarn,
den Kassaken, nur dass sie noch ungebildeter und noch roher
und noch oberflächlichere Mahammedaner als diese sind. Ihr Cha-
racter ist wild und unbändig. Sie sind kriegerisch und waren noch
vor weniger als 15 Jahren als Wegelagerer gefürchtet. Doch ziehen
jetzt, Dank der Vorsorge Russlands, die Karawanen von Wernoje
unbehelligt von ihnen nach Kaschgar. Als Nomaden besteht ihr
Haupterwerb in Viehzucht, wobei Viehraub nicht ausgeschlossen ist.
Der Yak oder Grunzochse bildet einen nicht unbeträchtlichen Theil V , ihrer Heerden und schon dies genügt um zu beweisen, das Gebirgs-
länder ihre Haupt-Wohngebiete bilden. Es besteht unter ihnen
keine Geburts-Aristokratie wie bei den Kassaken, von denen sie,
wie von ihren übrigen Nachbarn (Sarten, Uiguren) vernichtet und
als keineswegs stammverwandt betrachtet werden. Das Gebiet
welches die Kirghisen einnehmen, reicht nördlich etwa bis zum nördlichen
Abhange des transilischen Ala-Tau oder Alexandergebirge,
westlich bis zum oberen Laufe des Amu-Darja1, südlich bis zum
Kuen-lun, also die Umgegend von Yarkand und selbst von Chotan,
östlich im Tien-schan bis zum Meridian von Kuldscha. Wenjukow
schätzt die Gesammtzahl der Kirghisen auf 850,000, wovon ungefähr
169,000 unter russischer Herrschaft stehen, Rittich giebt
324,000, Lengenfeldt 250,000 an.
Dieser kurze Ueberblick dürfte genügen, schien mir aber zum
besseren Verständniss der eigentlichen Kirghisen**) und den von uns
*) Die in v. Hellwald’s „Central-Asien“ (p. 136) gegebene Abbildung eines
Buräten und einer Burätin, stellt nicht dieses Volk, sondern Typen der am Baikal
lebenden Bur ja t en dar, eines total verschiedenen zur 'mongolischen Basse gehörigen
Stammes. Ein Wiederabdruck dieser Bilder findet seinen richtigen Platz
in „Sibirien und das Amurgebiet. I : Sibirien von Albin’Kohn“ (1876) p. 68 u. 69.
**) Die ausführlichste Darstellung über dieselben giebt wol Badloff: „Beobberührten
Kassak unbedingt nothwendig. Was die letzteren betrifft,
so waren wir etwa 6 Wochen lang täglich mit ihnen im Verkehr.
Wir begegneten ihren Heerden, A-ulen, wohnten in den für uns
eigens errichteten Prachtjurten, ritten auf ihren Pferden, begleitet
von einem oft zahlreichen Gefolge, wurden von ihnen bewirthet,
sahen ihre Wettrennen und andere Festspiele u. s. w. aber es ging
dabei doch nicht über eine flüchtige Bekanntschaft hinaus, und von
eingehenderem Studium konnte bei der Kürze der Zeit und der Sprach-
unkenntniss vollends nicht die Rede sein. Immerhin war es uns vergönnt
mancherlei Betrachtungen zu machen und Nachrichten zu
sammeln, die, wenn sie vielleicht auch gerade nichts Neues bringen,
zur Vervollständigung und Characteristik einer Scizze, welche sich
zum grossen Theil auf die Forschungen Anderer stützen muss, doch
nicht unwesentlich sein dürften. Und ein gedrängtes Bild über die
heutigen Kirghisen glaube ich am Besten hier einzufügen, wo wir
im eigentlichen Herzen des Gebietes dieser Steppensöhne angelangt
sind, obschon ich auch für die Folge wiederholt auf dieselben zurückzukommen
haben werde.
Bei unserer ersten Begegnung mit Kirghisen (denn diesen
unrichtigen Namen muss ich nun schon vollends beibehalten), habe
ich bereits hervorgehoben (p. 75), dass ihre äussere Erscheinung
,,mongolische Abstammung“ verräth. Allein dieses Urtheil hat nur
im Vergleich mit Tataren oder individuell Werth und je mehr man
Vertreter von diesem Volksstamme zu sehen bekommt um so
schwieriger wird es constante Charactere für Typus und Habitus
herauszufinden. Ich stimme daher vollkommen mit dem gründlichen
Kenner und Forscher Professor Radloff überein, der in folgenden
Worten wol die beste Characterisirung giebt. „Ueber die Abstammung
ist es schwer etwas Bestimmtes zu sagen. Wie schon
die Physiognomien der Kirghisen zeigen, scheinen sie ein Gemisch
der verschiedenartigsten Elemente, deren hauptsächlichstes wol das
achtungen über die Kirghisen“ in: Petermann’s Geogr. Mittheil. 1864. p. 163—168;
ausserdem siehe: Derselbe in: „Mélanges russes tirés du Bulletin de l’Acad. imp.
des Sciences de St. Petersb. Tom. IV. (1863) p. 363, sowie: Wenjukow: „Die
russisch-asiatischen Grenzlande“ (deutsch von Krahmer 1874) p. 313 und dbd;
v. Koppen: „Die dem Russischen Reiche unterworfenen Kirghisen“ in: Peterm.
Geogr. Mittheil. 1858 p. 496 ; „Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde 2 (1867)
p 84- von Hellwald: „Die Russen in Central-Asien“ (1873) p, 70 und Rittich: „Die
Ethnographie Russlands“ in Ergänzungsheft No. 54 zu Peterm. Geogr. Mittheil. p. 31.