wollen. Seit Tjumen waren wir wieder im Gebiet der „freien“
Post, welche den Reisenden unbestrittene Annehmlichkeiten bietet,
aber auch ihre Schattenseiten hat. Dahin gehören zunächst die
häufig abgetriebenen Pferde und die. verschlafenen und unwilligen
Jemtschiken. Die Zeiten wo wir in der Steppe und dem Altai
unter fortwährendem „derdschi“ (halten) des Kutschers mit Pferden
dahinsausten, die zum eigenen Vergnügen dürchgingen, waren längst
vorüber, längst dahin jene Periode, wo die blosse Handbewegung
des Jemtschiken hinreichte; die Pferde anzutreiben. Hier konnte
nur ein energisches Eingreifen helfen, und die Ausdauer des Rosselenkers,
der oft stundenlang continuirlich die Peitsche schwingen
musste, war wahrhaft bewunderüswerth. Dennoch konnte er es
zuweilen nicht „derschrein und dermache“, wir müssten einmal ein
Pferd ganz ausspannen, liegen lassen und die letzte Station vor
Perm, mindestens 10 Werst weit, ununterbrochen Schritt fahren.
Kein Wunder, dass wir zu den letzten 25 Werst Stunde nöthig
hatten; aber wir durften uns immerhin glücklich schätzen die 365
Werst in 58 Stunden zurückgelegt zu haben, zu der wir auf der
Hinreise nur 49 gebrauchten.
Wie damals nahm uns das Posthötel' auf und noch am Abend
hatten wir das Vergnügen Herrn von Rothast zu begrüssen, der
uns mittheilte, dass er für unser Weiterkommen mit dem am
20. October abgehenden Danipfer „Kupez“ (Kaufmann) der Gesellschaft
„Kaukas i Mercuri“ gehörend, in der freundlichsten Weise
gesorgt habe. Während Dr. Brehm mit Herrn von Rothast einen
Ausflug machte, um die hier gebräuchliche, höchst interessante
Jagd auf den Birkhahn, mittelst künstlichen Lockvogels kennen zu
lernen, musste ich auf dieses Vergnügen verzichten, da mich eine
heftige Erkältung an die Stube fesselte. Dr. Kramer, ein liebenswürdiger
junger Deutscher, war so freundlich, sich meiner anzunehmen.
Am Nachmittage des 20. October begaben wir uns an Bord
des „Kupez“, dessen Einrichtungen nichts zu wünschen übrig
Hessen. Freilich war das Leben an Deck ein von dem auf unseren
Flussschiffen herrschenden sehr abweichendes. Das ganze Deck war
nämlich buchstäblich von sitzenden und lagernden Menschen so
dicht besetzt, dass man kaum seinen .Fuss vorwärts setzen konnte,
ohne Beine und Arme zu schädigen. Der „Kupez“ machte die
letzte der diesjährigen regelmässigen Fahrten, und so erklärt sich
das bunte Gewühl.
Die Kama ist ein gewaltiger Strom, der selbst bei dem jetzigen
niedrigen Wasserstande mit dem Irtisch vollständig wetteifern kann,
ja sich an manchen Stellen dem Ob nahestellt. Wenn unter den
von uns . in Sibirien gesehenen Uferlandschaften nur . die Partie des
Irtisch zwischen Ust-Kamenogorsk und Ust-Buchtarminsk eine grossartige
und wildromantische ist, so verdient die der Kama die Bezeichnung
lieblich. Es sind nicht die hohen Ufer, wie wir sie am
Ob finden und die, wie der Strom, schon durch die erhabene Stille
und Menschenverlassenheit imponiren, sondern wir befinden uns
wieder zwischen menschenb.elebten Ufern, und überall glänzen uns
die Kuppeln hübscher Dorfkirchen entgegen.. Wie bei den sibirischen
Flüssen, so ist auch bei diesem das rechte Ufer das höhere,
aber es bietet andere Formen, denn wie am Irtisch fehlen die tief
einschneidenden Querschluchten meist, ebenso wie der ununterbrochene
Wald. Letzterer tritt wenigstens nur an einzelnen Partien
hervor oder in der Ferne als eine dichtbewaldete Hügelkette, im
Allgemeinen sind die Uferhügel aber meist mit Gehölzgruppen besetzt,
^zwischen denen Weiden und angebautes Land abwechseln.
Weiter gegen Kasan zu verschwindet dieser Charakter übrigens
mehr und mehr, und niedrige, mit braunen Weiden bestandene Ufer,
oft zu beiden Seiten, oder kahle, wellenförmige Hügel treten an die
Stelle. Freilich mag die Landschaft im Frühjahr und Sommer bei
weitem lieblicher sein, denn jetzt kam ein neues Element hinzu,
welches die Ufer zuweilen ganz verhüllte, nämlich Regen mit
Schneeschauern. Das machte die Fahrt uugemüthlich, denn es war
kalt im Schiffe. Aber man unterliess es, zu klagen, wenn man die
armen Deckpassagiere betrachtete, die, in Pelze gehüllt, unter armseligen
Decken von j Segeltuch auf dem blossen Deck selbst die
Unbilden kalter, in eisigem Winde wehender Nächte zubringen
mussten.
Nach einer Fahrt von 3 Tagen und 9 Stunden hatten wir die
1100 Werst lange Tour zurückgelegt und kamen in Ust-Kasanki,
dem Dorfe, an welchem die Dampfer für Kasan anlegen, an. Glücklicher
Weise gelang es uns noch, mitten in der Nacht Jemtschiken
zu erhalten, die uns nach der fast 1 deutsche Meile entfernten
Stadt ins Komonenhötel führten. Im Laufe des ändern Tages
hatten wir die Freude alte Bekannte zu begrüssen, so Professor