Mit einem Empfehlungsbriefe des Ispravniks versehen, verliessen
wir gegen Mitternacht (9—-10. Juli) Bereösoff, nachdem wir noch
unter entsetzlicher Mückenplage das „Mittagsmahl“ verzehrt hatten,
welches von Iwan inzwischen am Strande bereitet worden war.
Wir fuhren, anfangs in der Sosswa, später im kleinen Ob, bald durch
engere canalartige Arme, bald seeartig erweiterte Wasserbecken, die
beiderseits unverändert dieselbe Uferscenerie: baumartige Weidendickichte,
zeigten. Von Strömung war nichts zu bemerken. Das
braune Wasser erschien im Glase gelblich und erzeugte beim Stehen
bald einen Bodensatz, wurde dem ohnerachtet aber getrunken und
schmeckte ganz erträglich. Schon vor Bereosoff hatte sich die
Nothwendigkeit eines Dolmetschers für Ostiakisch als dringend herausgestellt,
jetzt ging es ohne einen solchen überhaupt nicht mehr.
Jeder Ruderschlag führte uns tiefer in das Ostiakenland, deren Bewohner,
je weiter wir kamen, umso weniger Russisch verstanden.
Glücklicher Weise waren wir jetzt vorgesehen und besassen in dem
alten Michael Panajeff eine Persönlichkeit, die nicht allein der
ostiakischen und samojedisehen Sprache vollkommen mächtig, sondern
auch mit den Sitten und der Eigenart dieser Völker durchaus vertraut
war.
Da alle brauchbaren Männer jetzt auf den Eischereiplätzen weilten
und von den wenigen dienstthuenden Kosaken die besten zu der,
uns vorausgegangenen, russischen Expedition Orlow’s kommandirt
waren, so mussten wir eben mit diesem Greise zufrieden sein.
Ich schloss vorsorglich einen Contraet jnit ihm, dahin lautend,
dass er uns, falls sich in Obdorsk kein besserer - Ersatzmann finden
lasse, auch auf der Weiterreise zu begleiten habe und diese Vorsorge
erwies sich als sehr nützlich. Freilich hörte ich, dass Mancherlei
gegen Panajeff geflüstert wurde, der ein Lügner, Betrüger, Trunkenbold
u. s. w. sein solle, ich kehrte mich aber an das Gerede nicht
und konnte bei der Rückkehr alle diese Verläumder Lügen strafen.
Denn der „Djadja“ (Onkel) oder „Starick“ (Alte), wie er bei unseren
übrigen Leuten hiess, hatte sich als ein höchst williger und brauchbarer
Begleiter erwiesen, dessen Erfahrungen und Eifer der Expedition
sehr zu statten gekommen waren. Jetzt stimmten freilich Alle
die ihn früher verdächtigt hatten, in sein Lob mit ein! Trotz seiner
70 Jahre konnte es der alte Michael noch mit manchem jungen
Mann aufnehmen. Der röthlich und grau melirte. Vollbart gaben
seinen ausdrucksvollen Zügen, im Verein mit dem kahlen Schädel
jene, an einen Petruskopf erinnernde, Physiognomie, der man in
Russland so häufig begegnet, und der graue abgetragene Kapuzenmantel,
nebst den ostiakischen Beinlingen, drückten ihm noch mehr
das Gepräge eines nordischen Apostelmodells auf. Freilich hatte er
früher bessere Tage gesehen und war stattlich einhergegangen.
Zehn bis zwölf Lotken, die er sein eigen nannte, führten damals
ihm gehörige Wäaren, meist Fische, und in dem gastlichen Hause
von Michael Maximowitsch, wie er damals hiess, verschmähte selbst
der Ispravnik nicht einen Robber Whist mitzuspielen, denn hier
bekam man den besten Wein, die ausgezeichnetsten Speisen, vorgesetzt.
Dieser Reichthum war nun dahin, nicht durch eigenes
Verschulden (denn die Gerüchte, Michael habe sich in guten Tagen
in der Trunkenheit gelegentlich die Pfeife mit Zehnrubelnoten angezündet,
erwiesen sich als pure aufschneiderische Verläumdungen),
sondern in Folge unglücklicher Speculationen. Unserem Michael
war es eben ergangen wie so Manchem bei uns, der noch vor
wenigen Jahren in eleganter Equipage Aufsehen erregte und jetzt
bescheiden wieder zu Fuss gehen muss. Dass er unter den Bürgern
Bereosoffs nicht der schlechteste war und seine Verdienste besass,
bewies eine silberne Medaille, mit welcher ihn sein Kaiser, Nicolai,
ausgezeichnet hatte;
Die 13 Stationen,*) welche bis Obdorsk vor uns lagen,
sind 25 — 50 Werst auseinander und stellten demgemäss weit
höhere Anforderungen an die Kräfte der Ruderer. Obwol wir auf
der ganzen 495 W. (73‘/2 d. M.) langen Strecke nur schwächlich
aussehende Ostiaken erhielten, so konnten sie sich sehr gut mit »Russen
messen und brachten uns in 3 Tagen und 2 Stunden nach Obdorsk.
Sujew brauchte (1771) zu derselben Strecke, die er indess nur zu
*) Sie heissen: 1. links Ugorskia Jurty, 5 - 6 ostiakische Sommerhäuser und
Fischerplatz, 40 Werst; 2. 1. Bolschoi-Usträm, 1 russ. Fischerhütte, mehrere ostiakische
Hütten und Tschums, 35 W.; 3. rechts Sarai-Gor, 5—6 ostiak. Winterhütten,
50 W.; .4. r. Bonder-johan (Bondiregan), desgl., 50 W.; 5. r. Gonovatz-
kaja, 7 Tschums, 45 W.; 6. r. am grossen Oh, Kuschowat(skoje), russ. Kirchdorf,
12 Häuser mit 40—50 Einw., 25 W.; 7. r. Langiorsk(aja),'- 5—6 ostiak. Winterhütten,
35 W.; 8. r. Kaschgort(skaja, Kischgort), 1 0 -ostiak. Winterhütten, 35 W.;
9. r. Petlor(skaja, Pitlor), etl. ost. Hütten, 50 W.; 10. r. Parawats(kaja, Para-
watzki-Jurty), 1 russ. Fischerhütte, 12 ost. Winterh., 70 Einw., 30 W.; 11. r.
Taclity, 7—8 Tschums, 30 W.; 12. 1. Leümal(skaja, Luismoss, Luimalskia-Jurty),
gr. russ. Fischerpl., 45 W.; 13. Ohdorsk, 25 W.