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Viertelstunde neue wunderbare Lichteffecte hervorbrachte. Wir
näherten uns dem arctischen Kreise und wenn auch die Tage, wo
man Mitternachtssonne wirklich erblickt, vorüber waren, so gestaltete
sich die Beleuchtung effectvoller, als wenn die Sonne wirklich am
Himmel gestanden hätte. Um 117a Uhr zeigt sich noch ein goldener
Streif am westlichen Horizont, der allmälig in Aurorafarbe übergeht.
Die dunkelblaue mit Schneeflecken gezierte Uralkette zur Linken
ist uns wunderbar deutlich nahe gerückt. Der Himmel erscheint klar
graublaulich, da wo die Sonne verschwand aurorafarben, mit dunklen
rosenfarbenen Wolkenstreifen und einzelnen tiefblaugrauen Wölkchen,
die kleinen Inseln gleichen. Sie spiegeln sich, wie der Himmel, auf
der glatten Wasserfläche wieder, ebenso der blasse Mond und, obschon
undeutlicher, auch das Gebirge. Der Kamm des Letzteren ist noch um
12'/2 Uhr von einem goldigen Streifen der Sonne gesäumt und schon
eine halbe Stunde später zucken die ersten Strahlen wieder über die
Berge und übergiessen sogar enfernter liegende Kuppen mit ihrem
zarten Hauche. Abend und Morgen, Sonnenuntergang und Aufgang
reichen sich fast unmittelbar die Hände! Der westliche Horizont ist
jetzt, aber blasser, röthlich-grau, der. östliche lebhafter aurorafarben.
Doch färbt sich bald der Horizont ringsum zart rosa, geht höher
in gelbliche Töne über, während der Himmel zart hechtblau überzogen
ist. An ihm steht, hoch über uns, jetzt heller als vorher,
der Mond, spiegelt sich aber nicht mehr wie die übrige Himmelsfärbung,
auf der Wasserfläche. Letztere erhält plötzlich Glanz, als
15 Minuten nach 1 Uhr die fast halbaufgegangene Sonnenscheibe
einen breiten, goldigen Feuerstrahl über sie ausgiesst, der —! Doch
ich breche das meinem Tagebuche entlehnte und hier in allen seinen
Phasen aufgezeichnete Gemälde ab, denn solche, durch die Zartheit
der Farbentöne so unendlich lieblichen und doch so wirkungsvollen
Bilder wie sie die arctische Sommernacht vor das entzückte Auge
bringt, muss man selbst erlebt haben, beschreiben lassen sie sich nicht!
Man konnte sich so recht diesem Naturgenusse hingeben, denn
die Kühle der Nacht hatte die blutgierigen Mücken verscheucht und
die Tausende und Abertausende kleiner mottenartiger Netzflügler*)
*) Es waren Arten der Gattung Limnophiles, von denen ich aus diesem Theil
des Obgebietes 6 heimbrachte (L. affinis, griseus, marmoratus, extiricatus, auricu-
latus und rhombicus); sie sind ausser Mücken und den reizenden Zweiflüglern
(Dipteren) der Gattung Chironomus (von denen ich Ch. plumosus, psittacinus,
dispar, viridis und teuton sammelte), die hauptsächlichsten Insectenerscheinungen.