so hatten wir fast nie Land aus Sicht verloren und gegen 5 Uhr
traten die Ufer immer deutlicher hervor. Es waren die Dünenhügel
der Landzunge Baklanii-myss (russ. d. h. Scharben-Vorgebirge), wo
wir gegen 8V2 Uhr an dem flachen Sandstrande, der mit unzähligen
Schalenresten von Anodonta piscinalis bedeckt war, anlangten. Unzählige
Mückenschwärme umgaukelten uns, zeigten sich aber durchaus
harmlos, wahrscheinlich in Eolge der plötzlich einfallenden
Abendkühle.
Der Nor-Saissan (Dsaisan, Dzaissang), d. h. auf Kalmückisch
der „edle See“,*) (unter 47° 40'—48° 20' n. Br. und 83° 10' bis
84° 50' östl. L.) ist das grösste Süss Wasserbecken der Dsungarei.
Er erstreckt sich von Südost in nordwestlicher Richtung. Seine
Länge wird zu 86 (Wenjukow) bis über 100 Werst .{Wlangali),
d. h. 12—14 d. Meilen, angegeben, seine Breite von 22—50 Werst
(3—7 M.). Die Tiefe ist unbedeutend und beträgt gewöhnlich
24 Puss, aber auch bis 40. Sein Flächeninhalt von Hagemeister zu
2508 Qu.-M. (englisch), von Schwanebach zu 33 geogr. Qu.-M. oder
1830 Qu.-Kilom. berechnet, übertrifft also die des Genfer Sees (578
Qu.-K.), des grössten, welchen Westeuropa aufzuweisen hat, mehr als
zweimal. Er liegt 1200 Puss über dem Meere (Wenjukow), nach Meyer
1800, nach Graf Waldburg’sAneroidbeobachtungen 410 Meter, also ungefähr
in gleichem Niveau mit der umliegenden Steppe,:: Hieraus erklärt
es sich, dass die vielen, ohnehin unbedeutenden Flüsse nur bei
Hochwasser den See erreichen, der dann seine, mit Ausnahme geringer
dünenartiger Erhebungen, durchgehends flachen Ufer weit
überschwemmt. Das Wasser steigt mit Aufgang des Eises Ende
April und in Folge der Schneeschmelze auf den Gebirgen von Mitte
Juni bis Juli zum zweiten Male; Anfang November friert der See zu.
Mangeln ihm somit selbst kleinere Zuflüsse, geschweige die „vielen
z. Th. recht ansehnlichen“ wie Kohn irrig angiebt (Natur 76 p. 43) so
vermählt sich ihm ein desto gewaltigerer. Es ist dies kein geringerer,
als der mächtige Irtisch, der grösste Nebenfluss des Ob, aber in der
Länge seines Laufes den letzteren (3200 Werst = 457 d. M.) offenbar
übertreffend, also bedeutend länger als selbst die Donau. Er
*) Wichtigste Mittheilungen bei: Abramow Journ. E. Geogr. Soc. vol. 35 (1865)
p. 58 69 mit einer Karte in 8 °, und Wlangali: Eeise in: Beitr. zur Kenntn. d.
Euss. Eeichs 20. Bändchen 1856. p. 16.
entspringt weit im Chinesischen, in den Schneebergen des Ektag-
Altai und führt bis zu seinem Eintritt in die östlichste Ecke des
Sees den Namen Schwarzer- oder Kara-Irtisch, den er bei seinem
Austritt aus dem nordwestlichen Ende mit der einfachen Bezeichnung
Irtisch, bei den Russen auch wol Weisser-Irtisch, verlässt.
Während wir den letzteren sehr wol kennen, sind in Bezug auf den
ersteren noch manche Lücken auszufüllen. Die wichtigste Kunde
verdanken wir jedenfalls den gründlichen Arbeiten Mikroschnitschenko’s
und Matussowski’s,*) die anch mancherlei über die Tiefenverhältnisse
mittheilen. Aber sie scheint noch nicht ausreichend, um die Brauchbarkeit
des Flusses als Handelsstrasse nach China sicherzustellen,
innerhalb dessen Grenzen der Fluss noch 200 Werst weit schiffbar
sein soll. So wurde uns wenigstens gesagt, und Sosnowski’s Angaben,
nach welchen die regelmässige Schifffahrt bis zum Kabaflusse reicht,
scheinen dies zu bestätigen. Wir selbst fanden den Fluss auf ca.
60 Werst gut befahrbar, allerdings bei Hochwasser, welches überhaupt
die-Schiffbarkeit bedingen dürfte. Gmelin erwähnt schon der
flachen, wegen Felsen gefährlichen Stellen bei Semipalätinsk. Die
militärische Expedition unter Buchholz und Licharew erreichte den
oberen Irtisch 1720 nur mit Hülfe besonders flachgebauter Fahrzeuge,
die als die ersten auf dem See verwendeten den Namen
„Saissanken“ erhielten. Nach 12tägiger, jedenfalls sehr langsamer
Fahrt musste er wegen Stromschnellen und den feindlichen Angriffen
der Dsungaren umkehren. Diese Stromschnellen sollen an
der Einmündung des Flusses Bu-Urtschum unüberwindliche sein,
übrigens solche auch unterhalb des Ausflusses aus dem See vor-
kommen. Doch fehlen sie entschieden an der Einmündung des
schwarzen Irtisch, wie Wlangali irrthümlich angiebt. Unser ausgezeichneter
Freund Iwan Iwanowitsch Ignatoff in Tjumen war wol
der Erste, der, ich glaube 1864, den Fluss per Dampfer bis Ak-
Tjübe befuhr und hier nur desshalb umkehrte, weil er Reibungen
mit Chinesen ausweichen wollte. Nach ihm bot nur die Strecke
Ust-Kamenogorsk-Buchtarminsk, wo sich der Fluss durch enge hohe
Felsen drängt, Schwierigkeiten. Doch geschah seine Recognoscirungs-
fahrt, die bis.jetzt übrigens nicht wiederholt worden zu sein scheint,
*) Siehe Marthe: „Geogr. Forschungen am oheren Irtisch“ in : Zeitschrift der
Ges. f. Erdk. 10. 1875 p. 97 und „Von der russisch-chinesischen Grenze 1876“ in:
Deutsche Geogr. Blätter Heft III. IV. 1877 p. 201.