die vorhandenen Weiden doch niemals ausreichen würden. Im
Verlaufe dieser Betrachtungen hält Schrenk auch die arctische
Mückenplage für ein nothwendiges Uehel, weil dasselbe die Heerden
zum steten Wechsel der Weideplätze veranlasst. So plausibel
diese Erklärung auch klingt, so scheint sie doch nicht genügend,
namentlich weil sie unbeantwortet lässt, warum in anderen Gebieten
Sibiriens, wo man keine Renthiere hält, die Mückenplage
dennoch so erschreckend herrscht.
Eine Eigenthümlichkeit der Tundren des östlichen Ural ist
übrigens der verhältnissmässig sehr geringe Schneefall im Winter,
der meist verweht wird und so die Renthiere leichter zur Weide
gelangen lässt. Diese von den Eingebornen behauptete Thatsache
bestätigt Kowalski (p. XVIII), nach dessen Beobachtungen die Ostseite
des Ural überhaupt milder ist als die Westseite.
Sobald die Karavane an dem Lagerplatze angelangt ist, werden
zuvörderst die Renthiere ausgespannt, d. h. man nimmt ihnen zuerst
den Schultergurt und dann den Zaum ab und zwar dem Leitthier
zuletzt. Letzteres würde nämlich, zuerst von der Zugleine
befreit, unbedenklich mit sammt dem Schlitten der Heerde folgen,
zu der jedes Zugthier sofort eilt, nachdem es sich erst tüchtig geschüttelt.
Das Auf bauen des Tschum, eine Prärogative der
Weiber, geschieht schneller als das einer Jurte und erfordert oft
kaum mehr als 12—15 Minuten Zeit. Es werden zuerst, 4 oben
mit Stricken befestigte Stangen, etwa 16 Fuss lang, im Viereck
auseinandergespreitzt und an diese dann im Kreise die übrigen
Stangen gelehnt. Das luftige Gerüst wird dann, ähnlich wie bei
der Jurte, mit grossen aus Birkenrinde zusammengenähten Matten
bedeckt, von denen die obersten mittelst Oesen an Stangen aufgehoben
und befestigt werden. Solche Tschum pflegen bis 5 Jahre
auszuhalten, gewiss der beste Beweis für die Trefflichkeit des
Materials.
In der That ist Birkenrinde fast unverwüstlich, wie wir an
Resten in Gräbern sahen und die Manuscripte beweisen, welche
Pallas aus den Ruinen von Abla'ikit erwähnt. Die innere Einrichtung
eines solchen Wanderzeltes*) ist ganz wie ich sie bereits
beschrieb, aber bei Weitem ärmlicher. - Rings an den Seiten auf
*) Aufbau und Einrichtung ausführlichst beschrieben bei Schrenk (I. p. 325
bis 329) und Castren p. 272.
den blossen Erdboden ausgebreitete Renthierfelle dienen als Lagerstätte,
die meist nichts weniger als eben und bequem ist, denn
nicht selten machen sich ansehnliche Steine recht empfindlich bemerkbar.
Der Thür gegenüber pflegt die Hausfrau ihre beste
Habe, zierlich genähte Säcke, vielleicht einen mit Blech beschlagenen
Holzkasten aufzustellen und hier erhält, sorgfältig verhüllt, auch der
oder die Schutzgottheit des Tschums ihre Stelle. Sanda führte als
solche einen mit rothem Wollband umwickelten alten Cavalleriesäbel
mit sich; Madame eine Puppe, wie ich sie früher beschrieb.
Bei dem Holzmangel in der Tundra spielt das Feuer leider eine
sehr untergeordnete Rolle. Doch gelingt es meist soviel Brennmaterial
aufzutreiben um wenigstens abkochen zu können; jedes
nur irgend entbehrliche Stück Holz muss natürlich dabei herhalten.
Mit den Mahlzeiten sah es überhaupt recht spärlich aus, da auch
unsere Vorräthe nach und nach in bedenklicher Wbise zusammenschrumpften.
Neben Thee, Reis und Suppentafeln musste daher
die Jagdbeute aushelfen, und Goldregenpfeifer und Schneehühner
bildeten unsere tägliche, indess nicht ausreichende Kost. Die Tundra
ist in der That zu arm um eine grössere Gesellschaft nur annähernd
zu ernähren, denn die von mir notirte grösste Jagdausbeute eines
Tages betrug nicht mehr als 10 Schneehühner. Es ist dabei zu
berücksichtigen, dass wir nicht eigentlich jagen, sondern nur das
uns zufällig aufstossende Wild schiessen konnten. Selbstredend
musste Jeder seinen eigenen Koch spielen, d. h. röstete sich an
einem Stäbchen den eben gerupften und ausgeweideten Vogel selbst.
Gelang es ein gutes, tüchtig glimmendes Kohlenfeuer zu erlangen,
so waren diese unter wechselndem Umdrehen über dasselbe gehaltenen
Vögel in 15—20 Minuten, aussen schön gebräunt, innen noch
saftig und blutig, in der That ganz deliciös und mundeten besser
als im feinsten Hotel.
Die Familie Sanda, sowie unsere Leute, lebten meist von rohem
Renthierfleisch, obwol die letzteren seit den Todesfällen doch mit
gewissem Unbehagen an diese sonst so sehr beliebte Kost gingen.
Wie im Kriege selten Jemaud an Sparen denkt, so auch hier angesichts
der Seuche. Da letztere eben unberechenbar war, so suchte
man ihr die besten gesunden Thiere noch zu entreissen. Täglich
wurde mindestens eins, zuweilen zwei Ren geschlachtet und nur die
besten Theile verzehrt, was in Anbetracht der Umstände den Leuten
keineswegs zu verargen war,
F i n s c b , Reise. ^