freilich einen bei weitem minder imposanten Anblick als im Orient
gewähren, da ihnen die schlanken Minarets fehlen.
Oer Uehergang über die Wolga war ein sehr schwieriger, denn
die Schlitten geriethen überall in den aufgeweichten Schnee und in
Löcher, über welche Bretter gelegt werden mussten und kostete
über eine Stunde Zeit. Da Kasan ausserdem fast 7 Werst, also an
eine deutsche Meile weit von der Wolga ahliegt, und wir uns hier
bei fast gänzlichem Mangel von Schnee auf der eigentlichen Pahrstrasse
auf Nebenwegen, über Wiesen und Niederungen fortquälen mussten,
so wurde es 10 ’/2 Uhr ehe wir vor dem Kommonen- Hôtel hielten,
welches trefflich und besser als manches deutsche Gasthaus eingerichtet,
uns bald die überstandenen Strapatzen vergessen machte.
Wir hatten zu der 416 Werst (fast 60 deutsche Meilen) langen
Strecke 4 Tage 17‘/2 Stunde gebraucht, und in der ganzen Zeit
kaum 9 Stunden Schlaf gehabt. Bei ziemlicher Fahrstrasse würde
man diese Tour in 2 V2 Tag bequem zurücklegen. Aber freilich hatten
wir zuviel Aufenthalt durch Steckenbleiben erlitten und Stationen
von nur 30 Werst (4‘/4 deutsche Meile) kosteten uns oft 7 Stunden
und mehr.
So wenig die Vorstädte von Kasan mit ihrem dorfähnlichen
Aussehen, den verfallenen Hütten, Häusern, Schnapskneipen, den
Schweinen und Misthaufen an eine grosse Stadt zu erinnern vermochten,
so vortheilhaft gestaltete sich das Innere. Namentlich die
grosse Strasse in welcher das Hôtel liegt, konnte mit seinen stattlichen
Gebäuden, unter denen das Stadthaus und andere Regierungsgebäude
hervorragen, und seinen eleganten Schaufenstern jeden
Vergleich mit einer westeuropäischen aushalten. Kasan, die alte
Metropole des Tatarenreiches, dessen Macht von Iwan dem Schrecklichen
(1552) gebrochen wurde, ist noch heut der Hauptsitz der
muhamedanischen Bevölkerung des europäischen Russlands, denn von
80 bis 100,000 Einwohnern (82,262)*) sind 20 — 30,000 Tataren.
Sie bewohnen ein eigenes Quartier, welches indess einen wenig
orientalischen Eindruck macht, da die Häuser meist den
russischen entsprechen und auch an den Moscheen vermisst man
jene Würde der äusseren Erscheinung, welche im Orient so sehr
fesselt. Kasan besitzt an 60 Kirchen und 15 Moscheen; das ortho-
*) Die eingeklammerten Einwohnerzahlen sind der nach officiellen Quellen
znsammengestellten „Statistischen Scizze des Russichen Reiches“ von Schwanebach
entnommen, im „St. Petersburger Kalender für das Jahr 1876“.
doxe Kreuz und der Halbmond gedeihen hier friedlich nebeneinander
und beweisen, dass zwei so verschiedene Religionen sehr wohl mit-
einander zu leben vermögen.
Ueber Kasan sind die Mittheilungen von G. Rose (Reisei. p. 90—93)
i nachlesenswerth, ebenso J. G. Gmelin’s Beschreibung (I. p. 69 82),
I welche recht deutlich zeigt, wie äusserst günstig sich die Stadt seit
1 ca. 150 Jahren entwickelt hat.
Wir hielten uns in Kasan kaum 3 Tage auf, nicht länger als
■ unbedingt nothwendig war, und mussten dabei die Pflichten der
■ Höflichkeit schon hier arg vernachlässigen, denn wir konnten nicht
Ball den freundlichen Einladungen die uns zu Theil wurden folgen.
Büm denselben nur einigermassen gerecht zu werden theilten wir
f uns, so dass z. B. Graf Waldburg-Zeil einer Einladung seiner Excellenz
I des Gouverneurs Herrn Skarjatin folgte, während Dr. Brehm bei
I Herrn Staatsrath Dr. Elsner speiste und ich Herrn Prof. Dr. Radlofif s
1 Gastfreundschaft annahm. Der letztere Gelehrte, welcher mehrere il Jahre in Barnaul gelebt und den Altai, Ssamarkand, Turkestan u. s. w.
I behufs wissenschaftlicher Forschungen, namentlich in sprachlicher
und archäologischer Hinsicht wiederholt bereist hatte, war uns durch
[ seine gründliche Kenntniss des Altai ganz besonders wichtig. Man
wird auf Reisen so viel mit Rathschlägen überschüttet, dass man oft
ganz wirr werden könnte, denn es ist sehr schwer bei den oft widersprechenden
Angaben herauszufinden was das Richtige ist. Aber
Prof. Radloff konnte man es bald anmerken, dass er nicht auf
Hörensagen, sondern aus eigener Erfahrung sprach und ich darf
gleich hier einschalten, dass wir seine Rathschläge nicht blos in der
Folge, sondern gleich hier durchaus bewahrheitet fanden. So wurde
uns z. B. von einer Seite dringend angerathen eine Tarantass zu
kaufen, denn obschon eine solche augenblicklich noch nicht zu brauchen
war, könne sie leicht auf einen Schlitten gesetzt und in dieserWeise
die Reise fortgesetzt werden. Das klang sehr plausibel, aber als wir
auf Radloffs Rath den berühmten Tarantassverfertiger Romanoff befragten,
erklärte dieser, dass so gern er auch einen seiner Wagen
verkaufe, könne er uns doch niemals dazu rathen, denn wir würden
ohne Zweifel auf einer der nächsten Stationen Tarantass und Schlitten
stehen lassen müssen. Und wir konnten uns für die Folge zur Genüge
überzeugen, dass der gelehrte Professor und der brave Wagenbauer
vollständig Recht gehabt hatten.
Unter Professor Radloffs Führung, der Inspector der tatarischen