zu Tische setzt an ein Buffet, welches reich mit verschiedenen kalten
Speisen, z. B. Pasteten, Schinken, Wurst, Kaviar, Sardinen in Oel,
Schweizerkäse etc. nebst diversen Getränken als Portwein, Sherry,
und vor allen Dingen Schnaps nicht zu vergessen, besetzt ist und |
hier bedient sich Jeder nach Belieben. Ein solcher Sakuska oder
Vorimbiss würde allen Anforderungen eines Frühstücks bei uns
genügen, und der Fremde, welcher durch denselben verführt
wird, kann meist dem eigentlichen Frühstücke nicht mehr die gebührende
Ehre erweisen. Dabei sind die Stücke, .welche Einem iu
Sibirien vorgelegt werden, von einer Grösse, die oft in Verlegenheit
setzen könnte, und es ist daher Jedem, der nach Sibirien reist, an-
zurathen, einen leistungsfähigen Magen mitzubringen.
Bei Iwan Iwanowitsch waren wir übrigens nicht blos materiell
ausgezeichnet untergebracht, sondern wir lernten in ihm einen ebenso
wissbegierigen als kenntnisreichen Mann kennen, von dem wir
mehr profitiren konnten als er von uns. Er ist mit Herrn Koltschm
zusammen Inhaber des Hauses „Koltschm & Ignatoff“, jener renom-
mirten Rhederei, welche die meisten auf dem Ob und dessen Nebenflüssen
fahrenden Dampfschiffe besitzt, und die einen regelmässigen
Sommerdienst zwischen Tjumen und Tomsk unterhält. Die 8
Ignatoffsehen Dampfer bringen nicht nur einen grossen Theil des
Tbees, der über Kiachta und Irkutsk auf dem Karawanenwege nach
Tomsk gelangt, bis Tjumen, sondern haben den alleinigen Transport
der Deportirten von hier bis Tomsk übernommen. Zu diesem Zwecke
wurden drei eigens eingerichtete grosse Schleppfahrzeuge von 250
Fuss Länge erbaut, welche je 800 Menschen unterbringen. Und
jede Woche geht ein solcher Transport ab, denn es sind in der
Saison an 12 bis 15,000 Deportirte zu expediren. Die Firma besitzt
eine eigene Werft, auf der Dampfer gebaut werden und Herr
Koltschin ist ausserdem Eigener eines ähnlichen, aber weit grösseren
Etablissements in Nishnej Nowgorod, welches wir später kennen
lernten. Graf von Waldburg-Zeil, der länger das Vergnügen hatte
mit Herrn Ignatoff zu verkehren als ich, schrieb mir: „Die Achtung
vor diesem ausgezeichneten Manne wächst, wenn man seine Geschichte
kennt. Der Knabe, welcher mit 12 Jahren täglich auf den Markt
geschickt wurde, um Butter zu verkaufen, hat sich durch eisernen
Fleiss und festes Wollen zum grossen unternehmenden Rheder aufgeschwungen.
Mit demselben Fleisse und gleicher Energie wusste
er durch eigenes Studium die Lücken seiner Jugendbildung so auszufüllen,
dass ihn seine einschläglichen Kenntnisse mehr als sein
Reichthum zum angesehenen Manne, nicht nur in Tjumen, sondern
in ganz West-Sibirien und selbst Moskau1 und St. Petersburg machten.
Vor solchen „seif made men“ , die, wie Ignatoff, dabei ein warmes
Herz für ihre Untergebenen und regen Sinn für Kunst und Wissenschaft
haben, wird Jeder gern die vollste Hochachtung haben,“
Worte, in die ich nur mit ganzer Ueberzeugung einstimmen kann.
Sehenswürdigkeiten besitzt die Stadt nicht, aber die liebenswürdigen
Herren bemühten sich uns Alles zu zeigen, was uns interessiren
konnte, und darunter war allerdings für den Fremden manches
Neue. In der Frühe des anderen Tages (10. April) fuhren wir
unter der Leitung des Ispravnik, einen Kosaken als Vorreiter voran,
nach dem Ostrog, d. h. dem Gefängniss, welches jetzt mehreren
Hundert, vielleicht Tausend Deportirten als Winterherberge diente,
denn Tjumen ist jetzt der „Prikas o sfynych,“ d. h. Vertheilungs-
Gerichtshof aller Deportirten. Sie waren, so weit wir oder ich zu
urtheilen vermochten, sehr gut untergebracht und boten eine, für
den Anthropologen höchst interessantes Conglomérat verschiedener
Völkerstämme. Da gab es ausser Russen, Letten, Juden, Tataren,
Baschkiren, Kirghisen, Turkmenen auch Deutsche, und wie alle die
Stämme heissen, die das weite heilige Russland bewohnen. Sie
werden einmal nach den Religionen, dann nach den Nationalitäten
und dem Strafmass untergebracht, soweit bei der grossen Zahl und
Verschiedenheit der Verbrecher dies durchführbar ist. So gab es
grosse Säle, in denen Christen, Juden und Muhamedaner gesondert
mit Weib und Kindern hausten, denn bekanntlich dürfen diese
nächsten Familienglieder ihren Gatten und Vätern in die Verbannung
folgen, und erhalten freie Reise sowie Verpflegungsgelder. Obwol
die Frau eines zur Deportation Verurtheilten das Recht hat sich
scheiden zu lassen und wieder zu heirathen, so begleiten doch viele
ihre Männer, während es umgekehrt wol kaun Vorkommen dürfte,
dass ein Mann seiner verurtheilten Frau nach Sibirien folgt. — In
einem anderen Saale bot sich ein düsteres, unheimliches Bild; beim
Eintritt erhoben sich ein hundert Gestalten oder mehr mit rasselnden
Ketten, um vor dem Ispravnik anzutreten. Es waren alles Männer,
die wegen schwerer Verbrechen zu Zwangsarbeit, nicht unter 10
Jahre, in Nertschinsk verurtheilt waren. Sie trugen alle graue
Mäntel, die mit einer Chiffre aus gelbem Tuche auf dem Rücken,
als Zeichen dieser Bestimmung, versehen waren. Ist da auch ein
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