n. Br. und 84. 57. 8 östl. L. v. Greenw. (Fritsche), 150 M. (Graf
Waldburg) hoch ü. d. M.
Das Hotel Europa strebte diesem Grossstadtsziele nicht nur zu,
sondern hatte dasselbe bereits erreicht, wenigstens hinsichtlich
der Preise, denn 25 Kop. für eine Tasse Kaffee, 1 R. 20 K. für
ein sehr massiges Essen, 2 R. für ein schmutziges Zimmer u. s. w.
schien bereits jenem Standpunkte angepasst. Aber, wie ich später
hörte, besitzt Tomsk- andere bessere Hotels.
Gegen Mitternacht brachen wir mit unseren 54 Gepäckstücken
nach dem Dampfer auf, der sich wirklich präcis 3 Uhr in Bewegung
äetzte. Da ich in dreimal 24 Stunden nur 7 Stunden Schlaf genossen
hatte, begab ich mich zunächst zur Ruhe. Als ich gegen
10 Uhr wieder auf Deck kam, dampften wir bereits auf dem Ob,
der ein ziemlich grossartiges, obwol monotones Bild bietet. Die
ausgedehnte imposante Wasserfläche, durch Ueberschwemmung gehoben,
wird beiderseits von jetzt niedrigen Ufern eingefasst, die mit
undurchdringlichen Dickichten, grösstentheils aus Weiden und Päppeln,
bestanden und weiterhin mit Fichten und Kiefern gemischt sind,
bis sie endlich ganz von unabsehbaren Wäldern eingerahmt erscheint.
Diese grünen Koulissen-Wälder erhalten durch die gemischten Bestände
von Laub- und Nadelholz (Fichten und Lärchen), welche
bald geschlossen für sich, bald als ein Gemisch verschiedener Baumarten
auftreten, einige Abwechselung. Ebenso nicht selten durch
meist dicht und lebhaft mit Laubholz, hübschen Birken und Weiden,
begrünte Inseln, so dass im Ganzen die Obfahrt, obwol immer
einförmig, doch nicht geradezu langweilig genannt werden kann,
und sich z. B. weit interessanter als die untere Donau gestaltet.
Der Strom vermag es in Bezug auf Wassermasse und Ausdehnung
sehr wol mit dem Letzteren aufzunehmen. Zuweilen ist die Wasserfläche
so weit ausgebreitet, dass dem Auge die begrenzenden Wälder
ganz klein, wie die Buchsbaumeinfassung eines Blumenbeetes, erscheint,
anderemale fährt man durch enge Wasserstrassen, die oft
ein Labyrinth bilden, aus welchen der Blick keinen Ausweg findet.
Und diese ruhigeren Nebenarme sind es, welche die Dampfer vorzugsweis
gern aufsuchen, einmal weil sie z. Th. die Fahrt abkürzen
und dann wegen ihres ruhigeren Fahrwassers. Denn wie uns der
Capitain versicherte, thürmt der Strom oft so hohe Wellen auf,
dass sie über Deck schlagen und zuweilen die Feuer auszulöschen
drohen. Auf Veranlassung von Herrn Ignatoff ist übrigens durch
die Kapitäne seiner Dampfer der Fluss genau aufgenommen und in
einer Karte von grösstem Maassstabe niedergelegt worden, so dass
die Strecke Tomsk-Tjumen jedenfalls zu den am besten bekannten
des ganzen Stromgebietes zählt.
Die Einführung von Dampfschiffen*) in Sibirien ist übrigens
dem Kaufmann Mjasnikoff zu verdanken, der schon 1838 beim Finanzminister
um ein Privilegium zur Errichtung von Dampfern auf dem
Ob, Irtisch und Baikalsee petitionirte. Da die betreffenden Generalgouverneure
sich gegen das Project erklärten, so verzögerte sich die
Sache bis zum Jahre 1844, wo der erste Dampfer „Nicolaj“ (52
Pferdekraft) im Dorfe Grudinsk, Kreis Irkutzk, erbaut wurde und
den Baikalsee befuhr. In demselben Jahre regte es sich auch in
Westsibirien und zwar liess Mjasnikoff 2 Dampfer (je zu 30 Pferdekraft)
im Dorfe Reschetnikowa 10 Werst von Tjumen erbauen, die
ihre Maschinen aus Petersburg und Nishnej-Tagilsk erhielten. Als
der genannte Begründer der sibirischen Dampfschiffahrt bald darauf
sein Privilegium an den Kaufmann Poklewsky verkaufte, fügte derselbe
einen weiteren Dampfer von 50 Pferdekraft hinzu, der die
Fahrt zwischen Tjumen und Tomsk eröffnete. 1861 wurde der Ob
und seine Nebenflüsse bereits von 20 Dampfern befahren, da inzwischen
unser Freund Ignatoff, Tjufin u. A. als Rheder hinzugekommen
waren. Jetzt besitzt dieses Flusssystem bereits eine respectable Flotte
von 34 Dampfern,**) mit zusammen 2655 Pferdekraft, von denen Kolt-
*) Vergl. auch Nicolaus Latliin: „Die Dampfschifffahrt in Sibirien“ (Peterm
Geogr. Mitth. 1868 p. 64), der übrigens irrthümlich Poklewsky als Gründer derselben
angiebt.
**) Nach den mir von Herrn Wardropper gewordenen Mittheilungen waren es
bis voriges Jahr (1877) folgende und folgenden Ehedem gehörig: Koltsehin & Ignatoff
Tjumen: Kosakowsky (120 Pferdekr.), Beljetschenko (120), Eeutern (120), Kruschoff
(80), Ignatoff (80), Kapitanoff (60), Fortuna (35); Tjufin, Tjumen: Delphin (150),
Sibiriak d. h. Sibirier (120); Tjum6netz d. h. Tjumener (100), Almas d. h. Diamant
(80), Jorsch d. h. Kaulbars (60), Belgiitz (30); Titschkoff, Tomsk: Irtisch (100),
Dmitri (80), Waldemar (25); Actiken, Tara: Arjol d. h. Adler (120), Tara (100);
Longinoff & Co., Tjumen: Sarja d. h. Morgenröthe (140), Lutsch d. h. Lichtstrahl
(80), Svesda d. h. Stern (60), Luna d. h. Mond (25); Hatemsky, Tomsk: Osnowa
d. h. Grundlage (60), Jermak (120); Plotnikoff, Tobolsk: Toboljak d. h. Toboler
(80), Nicolai (60), Smorodinikoff, Tobolsk: Alexander (60), Wasilii (60); Korniloff,
Tobolsk: Sojus d. h. Bündniss (100), Stepan (60); Esajeff, Tomsk: Georgia (40);
Smolin, Tomsk: Kurganitz d. h. Kurganer (15); Kolmakoff, Tomsk: Jalutorowsk
(15). — Dies genaue Verzeichniss wird übrigens zeigen, dass bis jetzt kein Dampfer
F in s c h , Reise. I. 2 2