und Schrenk (p. 398) führt Beispiele an, dass Eingeborene die Tour
von Pustosersk bis Mesen (550 W.) in 24 Stunden, ja selbst 200
Werst in 12 Stunden mit denselben Renthieren machten. Vergleichungsweise
mag angeführt sein, dass in Lappland gute Renthiere
zu der Strecke Karaschok - Alten, 27 D. Meilen, 18 Stunden brauchen,
also in der Stunde nur ca. 10'/2 Werst zurücklegen. Für die ca.
500 W. lange Strecke Obdorsk - Bereosoff werden bei Winterbahn
mittelst Renthierpost gewöhnlich 3 Tage gerechnet. Nach Schrenk
kann man um zurückgelegte Distanzen abzuschätzen, ziemlich sicher
rechnen, dass Renthiere im Anspann durchschnittlich in der Stunde
7 W. zurücklegen. — Zum Einspann benutzt man in Sibirien meist
verschnittene Hirsche, sogenannte Renochsen und zwar nicht vor dem
vierten Sommer, allein hei den fatalen, durch die Seuche bedingten Verhältnissen,
mussten auch Kühe und seihst zweijährige Thiere genommen
werden. Dass das Ren übrigens das einzige für diese
Strecken brauchbare Zug- und Fahrthier ist, braucht wol nicht erst
erwähnt zu werden. Desshalb ist dasselbe für die Tundra unersetzbar
und ohne seine Hilfe würde dieselbe eine für den Menschen
ebenso unzugängliche Wüstenei bleiben, als die Sahara ohne das
Dromedar!
Gegen 4 Uhr früh (5. Aug.) kamen wir von unserer „Meerfahrt“
zurück nach dem Lager, wo sich inzwischen ein neuer Grabhügel
erhoben hatte. Er deekte das dritte Kind der Wittwe, einen hübschen
4 bis 5 jährigen Knaben, der wie sein Vater und seine beiden
Geschwister am Genüsse eines an der Seuche erkrankten Ren gestorben
war. Obwol die schwergeprüfte Frau keine Thränen vergoss,
so konnte man in ihren Zügen doch Schmerz lesen, allein im Kampfe
um’s Dasein war sie verhindert, sich ihrem Schmerze sohinzugehen,
als wie dies civilisirten Völkern möglich ist, die leider solchen
Stoicismus zu leicht als Stupidität deuten. Auch Middendorff,
(p. 1464) der die Samojeden so ausgezeichnet kennt, erwähnt, dass
hei einem Todesfälle Niemand weinte, fügt aber hinzu: „das ist in-
dess keine Gleichgültigkeit“ ! Diese ostiakische Wittwe, der Niemand
zur Seite stand, hatte daher genug mit ihren geringen
Habe und ihren wenigen Renthieren zu thun, denn Keiner half
ihr dieselben anschirren, eins schlachten, Keiner den Schlitten bepacken
u. s. w. Die letzte Obliegenheit machte ihr freilich
weniger Mühe mehr, nachdem sie bei unserem Aufbruch, Nachmittag
gegen 4 Uhr. auch ihr Haus, den Tschum, hatte zurücklassen
müssen, da sie nicht genügend Zugthiere zum Transport desselben
besass.
Auch wir mussten selbstredend wiederum zum Wanderstahe greifen
und zogen über eine öde Tundra weiter, in der die Hänge der Geröllhügel
hie und da eine wahrhaft überraschende Blumenflor zeigten.
Rothe und violette Wicken, rosafarbeneSteinnelken, und blaue Glockenblumen
wucherten oft in bouquetartiger Fülle, und contrastirten umso
mehr gegen die melancholischen weissflockigen Torf blumen (vermuthlich
Dianthus u. Eriophorum) und die .baumwollenartigeu Blüthenkätzchen
der Weide. Auch die Vogelwelt bot uns zwei neue Erscheinungen:
einen Flug Morinell-Regenpfeifer (Charadrius morinellus), die sich anscheinend
schon zum Zuge geschart hatten und eine Schneeule (Nyctea
nivea). Der herrlich weisse Vogel sieht im Fluge so gross aus, dass einer
unserer Mannschaft „Lebedj“ (ein Schwan! ein Schwan!) ausrief. Der
Vogel, ein höchst eleganter Flieger, rüttelte hie und da an einer Stelle,
stiess dann zur Erde herab und flog, anscheinend mit Etwas in den
Fängen nach einer Hügelkuppe. Offenbar hatte er einen Lemming
erbeutet, den ihm eine freche Raubmöve aus den Klauen zu reissen
versuchte. Die Eule liess ihre lachende, wie „huahaha“ klingende
Stimme hören, und vertheidigte sich, das Gefieder sträubend, so dass
sie grösser erschien als ein Uhu. Leider war meine Mühe, die Anstrengung
und der vergossene Schweiss bei der Verfolgung vergebens,
denn es gelang mir nicht, mich an das scheue Thier anzuschleichen.
Der Vogel scheint übrigen selten, denn wir sahen im Ganzen nur 3 oder
4 Exemplare; Hofmann gar nur eins (p. 150). — Die Ostiaken und
Samojeden, bei denen die Flügel der Schneeeule (sam. Chaninschu
oder Haninschu) zu Fächern sehr beliebt sind, fangen sie in Sprenkeln
(sam. Hanschuhpia d. h. dem Vogel sein Baum.) Diese Fallen bestehen
in einer in die Erde gesteckten an 11 F. hohen Stange. Sie
ist oben zugespitzt und trägt eiu 11 F. langes elastisches Schnellholz,
welches mittelst eines Steilholzes und eines Knotens ganz in
der Weise festgehalten wird, wie unsere Sprenkel, und ebenso mit
einer Schlinge versehen ist. Da auf der baumlosen Tundra, nicht
hlos Schneeeulen, sondern Raubvögel (Bussarde, Wanderfalken) überhaupt,
diese Stangen gern zum Ruhepunkte wählen, so fallen sie
nicht selten zur Beute. Wie die Schneeeule, so zeigten sich übrigens
die meisten Vögel der Tundra ziemlich scheu, obwol ihnen
hier Niemand mit dem Gewehre nachstellt, Nur Raubmöven waren
meist sehr dummdreist und einmal beobachtete ich einen Schnee