der Goldkaravane gegenüber alle. Im Uebrigen gilt die Regel, dass
einzelne Schlitten oder überhaupt die geringere Zahl, vor der grösseren
abbiegt; beim Vorfahren ist es Sache des Vorfahrenden wie er vorbeikommt
und gerade hierbei wissen die Rosselenker ihre grösste Kunstfertigkeit
zu entwickeln. In Kronsangelegenheiten reisende h Uhrwerke
sind übrigens an der Kleidung des Jemtschiken zu erkennen.
Dieselbe ist allerdings keine Uniform sondern die jedes gewöhnlichen
Bauern, aber sie hat insofern Dienstabzeichen, als Mütze und Arm
je mit einem Blechschilde geziert sind, auf denen der Doppeladler
prangt. •
Dass es bei solchen Ausweichen nicht ohne Schelten und Toben,
welches nicht selten in Thätlichkeiten ausartet, abgeht, ist selbstverständlich.
So schlug ich einmal ;m Aerger nach einem tatarischen
Kutscher, der nicht übel Lust hatte trotz des hochwohlgeborenen
Herrn Gleiches mit Gleichem zu vergelten, aber ehe er sein Vorhaben
noch ausführen konnte von unseren Jemtschiki zu Boden geworfen
und gründlich zerbläut wurde, was übrigens seine vielen
Kollegen lachend mit ansahen. ■.— Die Irbit-Karavanen hatten meist
Häute, Felle, einige Mammuthzähne geladen.
Man passirt jenseits Kasan viele tatarische Dörfer, die sich im
Ganzen von russischen wenig unterscheiden,- ¡nur dass die Häuser
meist einstöckig und deren Fenster zuweilen vergittert sind, zum
Zeichen, dass hier die Frauengemächer sind. Die Bewohnerinnen
selbst zeigen sich oftmals an den Thüren und Fenstern, um den
Anblick der Fremden zu gemessen, denen sie nur ihre verschleierten
Gesichter gönnen. — Die Moscheen können sich mit den stattlichen
Kirchen der Russen niemals messen; es sind meist einfache
Holzhäuser, deren Dachfirste in der Mitte einen kleinen Thurm mit
schlanker Spitze trägt, von welcher der Halbmond herabwinkt.
Wir erreichten am Abend des 28. März die Stadt Malmysch,
wo wir wegen Dunkelheit und entsetzlichem Weges einige Stunden
liegen bleiben mussten und passirten in der Frühe des anderen Tages
bei dem stattlichen Dorfe Gouba die Wiatka (spr. Wätka), einen
Fluss so breit als die Weser. Das Eis an beiden Ufern war bereits
so überfluthet, dass Bretter gelegt werden mussten, um unsere Schlitten
hinüber zu bringen. Dennoch versuchten drei Fuhrleute, welche je
ein grossesFass geladen hatten, den Uebergang ohne diese Vorsichts-
massregel und fuhren uns lachend voraus, obwohl ihre Pferde bis
über den halben Bauch ins Wasser geriethen. In ähnlicher Weise
■als die Wiatka kreuzten wir am Abend desselben Tages einen anderen,
■ kleineren Fluss und am 1, April die grosse breite Kama.
Die Kreisstadt Malmysch selbst liegt am Flüsschen Schoschma.
»Nach Rytschkow (1770) war sie bis zur Eroberung von Kasan
le in e tscheremissische Stadt und Residenz des Tscheremissen-Fürsten
■Boltusch. • ,
Zwischen Kasan und Perm giebt es viel Waldungen; man fahrt
oft stationenweis fast ununterbrochen durch solche, die meist aus
Nadelhölzern gebildet werden. A. v. Humboldt konnte (1829) diese
Wälder noch als „sehr reizend” bezeichnen; wir fanden sie ziemlich
verkommen und stellenweis arg von Insectenfrass verwüstet. Die dann
röthscheinenden Bäume geben namentlich bei Sonnenauf- und unterf
a n g malerische Effecte. In diesen Wäldern haust noch der Bär
K i n d Wolf; von letzteren sahen wir öfters Spuren im Schnee. Aber
K m Allgemeinen herrscht Grabesstille in ihnen, denn ausser einem
¡¡¡Fluge Dompfaffen (Pyrrhula vulgaris) und Goldammern sieht man
Kelten ein gefiedertes Wesen. Um so belebter ist es in den Dörfern.
Hgjer treiben zahlreiche Nebel- und Saatkrähen, Dohlen, Elstern,
■Haus- und Feldsperlinge ihr Wesen und bei fast keinem Dorfe fehlt
» e in Rabenpaar, welches mit Vorliebe seinen Wohnsitz auf dem Kirch-
■ thurme aufschlägt. Sie waren eben mit Nestbau beschäftigt und
■ bewegten sich sehr ungenirt und zutraulich bei und auf den Häusern,
■ von denen sie Stroh aus den Dächern zogen. Am 27. März bemerkten
I wir die ersten Staare, für welche in Russland und Sibirien besser
■ gesorgt ist als bei uns, trotz unserer vielen Vogelschutzvereine. Fast
■ bei jedem Hause sieht man am Giebel oder an hoher Stange ein oft
| sehr zierlich gefertigtes und bemaltes Häuschen, welches für die
I Staare bestimmt ist, aber eben so oft von Feld- und Haussperlingen
{ benutzt wird. Doch intervenirt in solchen Fällen der Russe nicht,
I wie man es bei uns thun würde und was die Hauptsache ist, seine
1 Gastfreundschaft ist keine Heuchelei, denn er nimmt die Herbergs-
i kinder nicht aus, wenn sie flügge sind, um sie zu braten. Geradezu
t überraschend ist die in Bezug auf die Saatkrähen geübte Toleranz.
1 Diese haben gewöhnlich die Bäume welche um die Kirche gepflanzt
I sind, meist die einzigen des Dorfes, mit Beschlag belegt und hier
■ erheben sich klumpenartig die ebenso unschönen, als unförmlichen
■ Nester, oft 50 und mehr auf einem Baume. Man muss das Geschrei
■ der zu Nest tragenden und bauenden Vögel, die wegen der Materi-
I alien alle Augenblicke in Zank und Streit gerathen, und welches
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