noch aushielt. (18. Früh). Die Gegend bekommt nach und nach
ein mehr steppenartiges Ansehen, grössere Bäume fehlen ganz, und
selbst die kleinen Gruppen zwerghafter Birken treten mehr vereinzelt
auf oder verschwinden auf weite Strecken ganz.
Zu den Schneeschauern, welche uns zeitweilig noch begrüssten,
standen die grossen Flüge von Schneespornammern (Plectrophanes
nivalis), welchen wir in diesen Tagen begegneten, in vollem Einklänge.
Sie zogen uns nach Norden voraus, wo wir sie 4 Monate
später unterm 67. und 68. Breitengrade wieder antrafen. Neben
diesen Wandergästen zeigten sich andere: wilde Gänse, hie und da
kleine Flüge Schwäne, auf den oft ausgedehnten Wasserflächen, die
jetzt noch meist mit Eis bedeckt waren. Die hauptsächlichsten
Erscheinungen blieben jedoch, wie von jenseits des Ural her, das
Volk der Krähen: Elstern, Dohlen, Nebelkrähen,-;in den Dörfern
Staare, Haus- und Feldsperlinge. Alle waren bereits eifrig mit
Nestbau und Brutgeschäft thätig, und die grossen runden Nestklumpen
von Elstern und Krähen nahmen sich auf den kleinen,
5 bis 10 Fuss hohen Krüppelbäumchen gar seltsam aus. Wir hatten
Birkwild schon auf der Tour nach Tjumen gesehen, einmal einen
Flug, der an 60 und mehr Stück zählen mochte, hier trafen wir
es wieder an. Vor Sonnenuntergang, gegen 5 Uhr, pflegten sich
Birkhühner einzeln oder in kleinen Ketten von 4 bis 6 Stuck auf
der Strasse einzufinden, wo sie eifrig in den Abfällen der Pferde
und Gefährte nach Körnern suchten. Die Magen Geschossener waren
in der That ausschliesslich mit Hafer angefüllt. Neben Birkhühnern
erschienen zugleich auch Schneehühner, (Lagopus albus), die im
Uebergange zum Sommerkleide, jetzt sehr buntgescheckt aussahen
und bereits eifrig balzten. Angesichts des Wagens hessen sie sich
ziemlich ankommen, und erlaubten aus denselben oder von diesen
gedeckt, Schüsse abzugeben. So wurden denn verschiedene .erlegt,
und Dr. Brehm glückte es an einem Abende sogar zwei Birkhähne,
seine ersten, und ein Schneehuhn zu schiessen.
Wir hatten bisher nur ein oder zwei Hasen gesehen, wobei es
im Ganzen auch blieb, hier wurde uns das Glück zu Theil sogar
8 Wölfen zu begegnen, die indess eilig, wie sie es immer haben,
verschwanden, ohne dass ihnen eine Kugel nachgesandt werden
konnte. Ich kannte die braven Thiere und ihr Gebahren zur Genüge
aus der Türkei, und Dr. Brehm aus Croatien, wohin er eigens zu
einer grossartigen Wolfsjagd gereist war, auf der auch wirklich
Einer erlegt worden war.
Im Ganzen sind die Sibirier nicht besonders entrüstet auf den
Wolf zu sprechen und allgemein versicherte man uns, dass er selbst
im Winter, wo sich oft 60 und mehr zusammenschaaren, den
Menschen gegenüber feig bleibe und ihn nicht angreife. Und dies
finde ich sehr glaublich, denn das Vieh bummelt iD Sibirien oft
spät bis in den Abend hinein, bei und in den offenen Dörfern umher,
dass es Isegrimm jedenfalls viel leichter wird ein Kalb, Schaf oder
Ferkel zu schlagen, als mit dem Menschen anzubinden. Die hie und
da von Sibiriern ausgesprochene Behauptung, der Wolf thue überhaupt
keinen Schaden, möchte ich indess nicht unterschreiben, denn
wir hatten Tags vorher ein Dorf passirt, in welchem in der vorhergehenden
Nacht die Wölfe 13 Schafe Ö zerrissen hatten, und dieser
Fall blieb für die Folge nicht der einzige. Ueber den durch Wölfe
verursachten Schaden hat Lasarewski*) dankenswerthe Zusammenstellungen
gemacht. Dieselben beziehen sich blos auf das europäische
Russland und sind auch hier wegen Mangels an statistischem Material
unzureichend, aber sie geben einen Anhalt, wie es erst in Sibirien
aussehen mag. Lasarewski nimmt für das europäische Russland
200.000 Wölfe an, die alljährlich 180,000 Stück Grossvieh und
560.000 Kleinvieh vernichten, und schätzt den dadurch verursachten
Schaden für das Reich auf jährlich 15 Millionen, ausserdem den
Verlust an Wild auf 50 (!) Millionen Rubel. Auch der Verlust
von Menschenleben durch Wölfe ist zu beklagen und betrug im
Jahre 1875 allein 161 Personen. Da Fallen, Feuergewehre, überhaupt
die Jagd nicht ausreicht, um der Wolfplage Herr zu werden,
so empfiehlt H. Lasarewski die Anwendung von Strychnin und hat
hierin jedenfalls Recht, denn nur mit diesem Mittel brachten es die
Colonisten Australiens fertig, den ihren Schafheerden so sehr schädlichen
Dingo oder verwilderten Hund auszurotten.
So arm wie das Thierleben zeigte sich der Strassenverkehr.
Die grossen Frachtkarawanen hatten aufgehört und ausser der Post
und Localfuhrwerken begegnete man kaum Reisenden. Wenigstens
erinnere ich mich nur zwei Bewohner des himmlischen Reichs auf
einer Station getroffen zu haben, die von Moskau kamen,’ wo sie
einen Theeladen besitzen, um nach Kiacbta zu reisen. Fussgängern
*) Siebe: Brückner „Der Wolf in Russland“ in: Russische Revue 1877. p. 260.
4*