die hier in gewohnter Frechheit ihr Wesen trieben. Der reizende
Itothfussfalk (Falco vespertinus), eine der lieblichsten Glieder seiner
Gattung, hielt sich namentlich längs der Telegraphenlinie auf, die
für alle Raubvögel soviel Anziehendes hat und deren Drähte und
Pfähle so gern von ihnen als Ruhepunkt benutzt werden. Auf den
Letzteren sahen wir daher nicht selten Fischadler (Pandion haliaetus)
sowie später andere Adler thronen. Röthelfalken (Falco cenchris)
waren ebenfalls nicht selten, aber eigentliche Steppenvögel zeigten
sich nur spärlich. Hie und da schwirrten in schwerfälligem Fluge
Zwergtrappen (Otis teträx) auf, um bald wieder einzufallen, und
nur ein- oder zweimal trafen wir auf Grosstrapen (Otis tarda), die
zu einem Jagdversuche reizten, der nur mit sofortigen Umwerfen des
Wagens durch die vom Schuss erschreckten Pferde führte. Merkwürdig
war das vereinzelte Vorkommen des Morastschneehuhns
(Lagopus albus) in den Dünen am Irtisch. Am 27. April hatten
wir die Freude die ersten Heerdenkibitze (V anellus gregarius) zu
sehen, und zwar hielten sie sich, ihrem Namen treu bleibend, bei
und unter den Viehheerden auf, wie dies mit Vorliebe ihre Gewohnheit
ist. — Von wilden Vierfüsslern bekamen wir ausser einem Schneehasen
(Lepus variabilis), der bereits den graubraunen Sommerpelz
trug, nichts zu sehen. Die erwarteten Ziesel, Springmäuse und
Langohrenigel (Erinaceus auritus), welche Pallas erwähnt, hielten
wol noch Winterschlaf und grössere Säugethiere, unter denen wir
sehnlichst Saigas erwarteten, sollen auf dem rechten Irtischufer nicht
Vorkommen, wie uns irrig gesagt wurde. Aber Pallas bemerkt ausdrücklich,
dass sie hier in Menge herumschweifen, indem sie über den Irtisch
schwimmen und sich bis in die Baraba (aber nicht bis zum Ob)
ausbreiten. Gmelin erwähnt bei Beschreibung seiner Reise längs
des Irtisch (I. p. 192) der vielen wilden Schweine „so gross als ich
sie jemals gesehen habe“ und fügt hinzu: „Sie fressen nichts als
Gras und Wurzeln; des Winters wühlen sie unter dem Schnee ein
Gras hervor, welches in hiesiger Sprache Kunduruk heisst und
erhalten sich davon.“
Trotz dieser Armuth zeigte sich die Steppe belebt und wurde
es von Tag zu Tag mehr, nämlich mit Viehheerden, die grössten-
theils Kirghisen gehörten. Schon in Omsk hatten wir die Letzteren
als Diener und Kutscher gesehen, jetzt sollten wir mit den „Wanderhirten
und Wanderheerden“ in der Freiheit Zusammentreffen und
das gab der Reise einen erhöhten Reiz. Da unsere eigentliche Be-
Stimmung, das untere Obgebiet, noch weit, recht weit entfernt war,
so konnten wir der jedenfalls sehr interessanten Steppe und diesen
ihren ebenso interessanten Söhnen leider keine Zeit opfern, zumal
da wir in Semipalätinsk bereits erwartet wurden. Und so mussten
eben besondere Wünsche eines specielleren Studiums unterdrückt
werden und wir uns damit begnügen die braven Kirghisen zunächst
eben nur im Vorbeifahren kennen zu lernen.
Schon etliche Stationen hinter Omsk sahen wir die ersten Jurten,
jene kegelförmigen Zelte aus Filz, die in ihrer Art jedenfalls die
besten transportablen Wohnungen sind. Freilich zeigten sie nichts
von dem Luxus, wie er uns gegenüber später durch Sultahne und
andere Reiche des Volkes entfaltet wurde, aber wir lernten die der
Aermeren kennen, und ich muss sagen, dass sie im Ganzen wenig
besser waren als Dschums von Ostiaken und Samojeden. Denn trotz
der solideren Bedeckung durch Filz muss ein Winteraufenthalt in
solcher Jurte doch ziemlich luftig sein, namentlich da, wo, wie es
so häufig in der Steppe der Fall ist, Brennmaterial fehlt und man
dann zu den armseligen Spiräengesträuch oder gar zu getrockneten
Kuhfladen seine Zuflucht nehmen muss. Dass kleine Feuer aus Schilfrohr,
welches in der Jurte schmälte, die ich betrat, machte ebenfalls
keinen behaglichen Eindruck und die übrige innere Einrichtung
stand damit im Einklang. Sie bestand eben nur in einigen hölzernen
Gefässen zur Aufbewahrung von Milch und ein paar bunten sibirischen
Holzkasten, welche die wenigen Habseligkeiten enthielten. Die Jurte,
von kaum mehr als 10 Fuss Durchmesser, diente 2 Familien zum
Aufenthalt; ausserdem waren 5 Kälber untergebracht, was für die
Sorgfalt, welche Kirghisen für ihr Vieh haben, gewiss das beste
Zeugniss ablegte. Namentlich sollen die Weiber mit fast übertriebener
Zärtlichkeit für die neugehorenen Kameele sorgen. Die Damen,
welche wir hier sahen, erschienen in ihren schwarzen zerlumpten
Kaftans sehr ärmlich. Sie trugen ein weiss sein sollendes Tuch
eigenthümlich um den Kopf geschlagen, ohne ihr Gesicht damit zu
verhüllen, wie ihnen dies eigentlich die Religion vorschreibt. Aber
sie durften ihre Reize offen zur Schau tragen, denn keine von ihnen
war zum Verlieben. Der bräunliche Teint, die schiefliegenden Augen
und vorspringenden Backenknochen mahnten an „mongolische“ Abstammung,
die bei den Männern noch stärker hervortrat. Aber nach
Radloff’s jedenfalls gewiegtem Urtheile haben die Kirghisen mit den
Mongolen nichts zu thun, sondern gehören zum türkischen Stamme,