der Mitte des Stromes herrscht Linderung, aber sobald man sich dem
Ufer nähert und an Land tritt, hat man die Blutsauger über sich,
gegen welche nur dicke Lederhandschuhe und Schleier schützen, die
freilich nicht hei jeder Arbeit getragen werden können.
In der That muss der Naturgenuss hier theuer erkauft werden, aber
er entschädigt sehr oft, namentlich die herrlichen Beleuchtungen des
kaum geschiedenen und schon wieder erwachenden Tages. Ein solches
Bild hatten wir, obwol noch fast vier Breitengrade vom arctischen
Kreise entfernt, an dem Abend des 7. Juli! Es war 101/ Uhr
und die Sonne eben im Untergehen begriffen. Sie vergoldete die
breite Wasserfläche, welche von einem schmalen, jetzt schwarz erscheinenden
Streifen Waldes als Einfassung des Horizontes begrenzt
wurde, dem brennend-feurig hochgoldige Wolken als Hintergrund
dienten. Sie schattirten sich nach oben zu schwächer golden ah; über
ihnen schwebte eine violettgraue Wolke, deren unterer Band hochvergoldet
glänzte. Darüber breitete sich der hlaugraue Himmel aus,
an dem kein Stern sichtbar war. Nach einer halben Stunde (gegen
11 Uhr) war der feürig-goldene Schein verschwunden. Nur unmittelbar
über dem schwarzen Waldstreifen schimmerte der Horizont noch
goldig. Die violettgraue Wölke war jetzt in eine dunkel aurora-
farbene, oberseits violett, unterseits purpurrosa gerandete verwandelt,
der übrige Himmel in ein mattes Bleigrau gekleidet.
Dem mehr und mehr erblassenden Goldschein im Westen vermählte
sich im Osten ein fahl grünlichblauer. Die Wasserfläche
vor uns erschien fast schwarz, unmittelbar längs dem Ufer von einem
schmalen silberweissen Bande begrenzt, und auf ihr spiegelten sich
der goldige Schein am Horizont, die aurorafarbenen und purpurrosa
Wolken, in langen bis zum Schiffe laufenden Streifen wieder.
Wiederum nach Verlauf einer halben Stunde waren diese Letzteren
verschwunden, dass Wasser erschien schwarz, fing aber an bald
sich wieder zauberisch zu färben, wie der Himmel. Schon um
Mitternacht zeigte sich, da wo die Sonne aufgeht, ein blassaurora-
farbener Schein, während ein fahlgrünlichblauer noch die Stelle andeutete
wo sie unterging. Und so wie die unbeschreiblich grossartige
Erscheinung des untergehenden Sonnenlichtes allmälig an
Glanz und Feuer abnahm, begann sie jetzt umgekehrt sich wieder
zu entfalten; schon gegen fffi Uhr war die Sonne im Aufgehen
begriffen!
Etwa um jene Zeit (8. Juli) verliessen wir die Station Kloster
Kondinsky, auf welches ich auf der Rückreise noch zurückkommen
werde.
Als wir unterhalb des Dorfes bei der Einmündung der kleinen
Schorgatzkaja Reka Vorbeifuhren fiel mir an .seinem rechten Ufer
ein grüner Hügel auf, der, ähnlich dem rasenbewachsenen Erdwall
einer Fortification, von Menschenhand errichtet schien. Leider erlaubte
es die Zeit nicht denselben zu besichtigen.
Vier weitere Stationen welche uns am rechten Ufer hielten,
brachten uns stets wiederkehrende Landschaftsbilder und auch in der
Thierwelt wenig neues. Der schwarzohrige Milan (Milvus Govinda)
welchen Graf Waldhurg noch in Malo-Atlim erlegt hatte, war verschwunden,
mit ihm die Fensterschwalbe (Chelidon urbica) in Kloster
Kondinsky, welche hier erst zu bauen anfing, während wir sie am
27. Mai in Säissan schon zu Neste tragen sahen.
Auch der Strom war ziemlich todt und nur von Sturm- und
Lachinöven (Larus canus, ridihundus), weniger von der kleinen
Mantelmöve (Larus affinis) belebt. Aber während der Nacht strebten
unzählige Flüge Enten, meist Schellenten (Anas clangula), stromabwärts.
Hie und da zeigte sich ein einzelner schwerfälliger Seeadler,
nur einmal der Kolkrabe, aber das Vogellebeu wurde mannigfaltiger
und reicher, als wir die mit hohen Weiden besetzten Wiesen
bei Tschemaschewskaja und mit ihnen das linke Ufer wieder erreichten.
Hier erhielten wir Zwergspechte (Picus minor) und Wäch-
holderdrosseln, mit ihren jetzt flüggen Jungen, den reizenden Zwergammer
(Emberiza pusilla), hörten den frohen Ruf des Kuckucks;
auch wurden die ersten Vorboten des arctischen Kreises, Seetaucher
(Colymbus septentrionalis) bemerkt. Bei den wenigen Holzhäusern,
in welchen Russen mit Eingebornen vereint, Fischsalzerei betreiben,
siedelten Haus- und Feldsperlinge und die liebliche Rauchschwalbe,
welche bei uns nur höchstens im Hause des Reichen vertrieben
wird, hier aber überall eine freundliche Heimstätte findet. Auch
in Scheitanski-Jurty, der letzten Station vor Berosoff, hatte sie
sich in einer Ostiakenhütte ihr Heim gegründet. Da ich später
den Besitzer derselben wiedertraf kann ich hier gleich ergänzend
einschalten, dass das liebe Schwalbenpaar 5 Junge glücklich ausgebracht
hatte und mit denselben am 1. September nach Süden gezogen
war. Gewiss ein schöner Beweis für die Thierliebhaberei der
Ostiaken! „Aber anch für ihre Schmutzliehe“ ! wird mancher antworten
, der in dieser Beziehung soviel Ungünstiges über sie las.