Als Gmelin 1734 hier war fand er nur 150 Kesaken unter einem
Lieutenant; Meyer giebt 1826 aber schon 1738 Bewohner an.
Nach herzlichem Abschied und Dank von der liebenswürdigen
Familie Poltoratzky und Obrist Choldijefif, denen wir, ausser so vielen
persönlichen Beweisen der Gastfreundschaft, den Genuss einer • so
interessanten Reise schuldeten, fuhren wir gegen 5 Uhr Nachmittags
(17. Juni) nach Smeinogorsk weiter. Die 172 Werst (ca. 241/a d. M.)
lange Strecke kostete uns 27 Stunden, aber wir hatten 7 */2 Stunde
in dem hübschen Dorfe Sekisowski genächtigt, und ausserdem mehrere
Stunden durch wiederholte Achsenbrüche verloren. Die Gegend ist
im Ganzen hügelig, reiche Wiesen wechseln mit fruchtbarem Acker-
lande, aber es fehlen alle Wälder, zu deren Erhaltung schon Pallas
vor hundert Jahren Vorkehrungen getroffen wünschte. Dagegen ist
der Reichthum an Gewächsen und allerlei Sträuchern, namentlich
dem oft mannshohen Lonicera-Gestrüpp überraschend. Man passirt
eine ganze Reihe kleinerer Flüsse,*) die der Ulba und Uba zueilen,
sowie letztere beiden selbst und zwar die Ulba gleich hinter Ust-
Kamenogorsk auf 5 einer Schiffbrücke, die Uba mittelst eines Prahm
beim Dorfe Schamanaicha, Schemanaicha oder Schemenaijowska
(1016' hoch: Ledeb.). Der Fluss (370 M. hoch Graf Waldburg) ist
oder war hier recht stattlich, wird aber bei Hochwasser viel grösser
und reissender. So brauchte Meyer 2 Stunden um überzusetzen,
während man ihn im Hochsommer selbst mit dem Wagen durchfahren
kann. Die sieben Dörfer, welche man passirt, sind durch-
gehends sehr stattliche und sprechen für die Wohlhabenheit ihrer Bewohner.
Sie wurden vor nicht [viel über 100 Jahren auf Befehl
der Kaiserin Katharina II. angelegt und meist mit Deportirten
(Verschickten) besiedelt. Doch waren es brauchbare Elemente, wie z. B.
polnische Verbannte welche, Jekaterinowska gründeten, und diefleissigen
und nüchternen „Altgläubigen“ (Raskolniki), welche heut noch in
diesen Dörfern wohnen. Wir hatten genügend Gelegenheit die
Leutchen zu mustern, denn überall wohin wir kamen, war meist
die ganze Dorfschaft, wahrscheinlich noch aus' der Umgegend verstärkt,
zu unserem Empfange versammelt. Vor dem Stationsgebäude
stand, trotz dem unendlich tiefen Kothe, die Menge Kopf an Kopf,
nicht blos die Fenster der umliegenden Häuser, sondern auch die
*) Dieselben werden von Ledebonr (p. f>0—63 namentlich aufgeführt, der
zugleich über die Dörfer, ihre Einwohnerzahl und Höhe nach barometrischen
Messungen Auskunft giebt. —
nächsten Zäune, ja sogar eigens angelehnte Leitern waren dicht mit
Frauen und Mädchen besetzt. Kurzum - überall erwarteten uns, in
ehrerbietiger Haltung, oft mehr als ein paar hundert Neugieriger.
Diese Neugierde fiel zuweilen lästig. Nicht allein dass die Stubenfenster
immer dicht mit Gesichtern besetzt waren, welche uns ein
paar Bissen essen oder bei der Toilette sehen wollten, auch in die
Stube selbst drangen zuweilen Neugierige und überall wohin man
seinen Schritt richtete^, sah man sich gefolgt. Selbst eingetretener
Regen vermochte die Menge nicht immer ganz zu verscheuchen,
und sie wartete oft eine Stunde und länger bis wir wieder die
Tarantassen bestiegen, wobei sich jeder bemühte uns behülflieh zu
sein. Diese Huldigungen mussten uns billig überraschen, denn sie
konnten unmöglich allein auf Rechnung der Neugierde gebracht
werden, da wir ja keineswegs die ersten Fremdlinge in dieser Gegend
waren. Wie wir später erfuhren hatte uns Fama überholt und in
Betreff unserer Personen einen mystischen Schleier ausgebreitet, der
diese besondere Theilnahme des Publikums erklärte, wenn auch
immerhin in diesen Gegenden die Ankunft Fremder oder Reisender
an und für sich schon ein Ereigniss sein mag. Schon in Lepsa war
von Kosaken erzählt worden, dass wir „in Masken“ reisten. Hier
hatte sich das Gerücht verbreitet, Graf Waldburg, den eine Militärmütze
auszeichnete, sei ein Bruder Sr. Majestät, der, von der Thronfolge
ausgeschlossen und bisher verbannt, nun ineognito seine Kronsländer
bereise und Dr. Brehm und ich ihm nahestehende höchste
Herren.
Ob die Leute von den über und über mit Schmutz bedeckten,
niehts weniger als fashionabel erscheinenden Fremdlingen wol befriedigt
gewesen sein mögen? Ich bezweifle es! Uns konnte diese alberne
Mystification schon recht sein, denn sie bot uns erwünschte Gelegenheit
das Volk kennen zu lernen und zwar im schönsten Staate. Und
dieser war beim weiblichen Geschlechte, unter denen es viele hübsche,
frische Gesichter gab, noch viel malerischer als ich dies (p. 285)
beschrieb. Die Mädchen tragen lange, schöne Zöpfe und um den
Kopf nur einen buntfarbigen runden Wulst, während die Frauen
das Haar mit einem flachen, vom etwas erhöhten Barett, meist aus
rosa Seide bedecken, um welches sich turbanartig ein farbiges Tuch
schlingt. Ueber das meist rothe, nur durch die Aermel sichtbare
Hemde und den gleichfarbigen, jedenfalls grellen Rock, wird eine
meist dunkelblaue Schürze getragen, die bis über die Knie und an