zu wünschen dass Russland, welches mit so viel Kosten jährlich
Tausende von Faullenzern und anderem Gesindel nach Sibirien „ansiedelt“,
die Auswanderung freier Arbeiter nach diesen Gegenden
mehr begünstigte, anstatt Tausende fleissiger Menschen über den Ocean
in die Tropen ziehen zu lassen.*) Wie in den Vereinigten Staaten
der Indianer der fortschreitenden Kultur weichen musste, so würde
auch hier der Nomade dieser gegenüber endlich zurückzutreten gezwungen
sein. Aber diese Zeit liegt wahrscheinlich noch sehr fern,
und man thut jedenfalls Unrecht, überhaupt einen Vergleich zwischen
Nordamerika und Sibirien anzustellen, so sehr die erdrückendeWucht
der beiderseitigen Ländermasse auch dazu einladet. Wenn aber in
Amerika längst die letzte „Rothhaut“ ihr Ende gefunden haben wird,
werden in diesem Theile des russischen Reiches wahrscheinlich noch
ungeschwächt Nomaden fortleben. Und dies wird nicht die Schuld
der Regierung, sondern der Verschiedenheit beider Länder in
Bezug auf physikalische Beschaffenheit, geographische Configuration
und der herrschenden Rasse sein.
Nachdem wir uns in den Lehmhäusern der Kolonisten umgesehen
und hier mit Milch erquickt worden waren, gingen wir vor das Dorf,
wo stattliche, reich mit prächtigen Teppichen geschmückte Jurten
uns aufnahmen. Und doch zeigten die Erbauer dieser luftigen, beweglichen
Wohnungen, dass sie auch permanente trefflich zu errichten
verstehen, weit dauerhafter und geschmackvoller als diejenigen der
Ansiedler aus dem fernen Westen, die wir so eben verlassen hatten.
Aber diese Bauten sind eben nicht für die umherstreifenden Lebenden,
sondern für Ewigsesshafte, die Todten bestimmt, also Grabmäler.
Ein solches stand unweit Udsch-aral und enthielt die sterbliche Hülle
von Beg Sultahn Agadaif.**) Der stattliche, leider bereits im Verfall
begriffene, Bau war, wie die Abbildung zeigt, nicht ohne Geschmack
ausgeführt und der einzige derartige aus gebrannten Ziegeln hergestellte,
den wir zu sehen bekamen. Unter dem von Brettern
*) Wie die deutschen Kolonisten der Gouvernements Samara und Saratow,
von denen 1876 und 77 Scharen nach Brasilien auswanderten, wo es ihnen indess
z. Th. so schlecht ging, dass eine Menge in der hilflosesten Lage wieder zurückkehrte.
Im Jahre 1878 kamen indess neue Züge durch Bremen, die diesmal den
Vereinigten Staaten zueilten, wo es ihnen ohne Zweifel besser gehen wird.
**) Vermuthlich der „Sultahn Bek“ den Atkinson erwähnt (p. 562) und von
dem er eine colorirte Abbildung giebt, die aber wie seine Bassendarstellungen
durchgehends des eigenthümlichen Typus entbehrt.
errichteten Schutzdache gelangte man durch einen Gang, ' der mit
bereits verfallenen Treppen zu den Thürmen in Verbindung stand,
zu der eigentlichen Grabkapelle mit gewölbter Kuppel, in welcher
unter einer sarcophagartigen, gemauerten'Erhöhung der Sarg mit
den Ueberresten des entschlafenen Grossen ruhte.
Hatte Udsch-aral auch noch keine Kirche aufzuweisen, so konnte
man über die Religion seiner Bewohner nicht im Zweifel sein, denn
hier fand wieder das brave Hausschwein eine Heimstätte, dass wir
seit Sergiopol nicht mehr zu sehen bekommen hatten. Die Spuren
seiner wilden Brüder waren am Ala-Kul freilich überall zu bemerken,
aber nirgends deutlicher, als da wir unsere Reise von Udsch-aral längs
einem Arme des Tentek fortsetzten, der mit dichten Rohrwäldern
eingefasst war. Hier hatten Wildschweine, welche die Wurzeln des
Rohrs begierig aufsuchen, allenthalben den Boden tief aufgewühlt,
gleichsam durchpflügt, weit besser als es die primitiven Ackergeräthe
der Kirghisen vermocht hätten. Neben diesen Spuren von Wildschweinen
zeigten sich auch häufig Wolfsfährten, aber nach der des
Tigers sahen wir uns vergeblich um.
So, sehr sich die Säugethiere dem Blicke entzogen, so
reichhaltig zeigte sich die Vogelwelt. Von Lepsa herab hatten
wir, wie erwähnt, Bienenfresser (Merops apiaster) und Mandelkrähen
(Coracias garulla) als neue Erscheinungen beobachtet und
Brehm erlegte zuerst den herrlichen Gilbammer (Emberiza luteola),
der in seiner Pracht des frischen Gefieders so blendete, dass ich
anfangs glaubte eine neue Art vor mir zu haben. Die Masken