billig, sehr billig reisen kann. Bis Krasnojarsk brachten ihn seine
eigenen beiden Pferde, die hier verkauft wurden. Von dort bis
Tomsk hatte die Reise 10 R., von dort bis Tjumen 18 R. gekostet,
für die Weiterreise nach Perm war ein mitreisender Tatar für 25 R.
gewonnen worden und hier hoffte der Pole von seinen Eltern 40 R.
vorzufinden. So waren die Baarauslagen äusserst geringfügige, denn
für Zehrung brauchten die Leutchen so gut als nichts auszugeben.
Die mächtigen Laibe Brot, die Speckseiten und Butter waren noch
eigener Ertrag, der voraussichtlich bis Perm und weiter ausreichte
und im Uebrigen brauchten die genügsamen Menschen so gut als
nichts. Trotzdem es diesem Polen in Sibirien, wenigstens in den
letzten Jahren, nicht schlecht ergangen war, sehnte sich der Mann,
wie die meisten seiner Landsleute denen wir begegneten, das Land
zu verlassen. Nicht lediglich aus Liebe zur ITeimath, von deren
ganz veränderten Verhältnissen er für sich keine goldene Zukunft versprechen
konnte, sondern hauptsächlich weil selbst diesem bescheidenen
Manne, von doch nur geringem Bildungsgrade, Sibirien als geistiges
Grab entsetzlich geworden war. Wie begierig war er nicht über
die seit 12 Jahren entstandenen gewaltigen Veränderungen und
Umwälzungen Etwas zu erfahren, und wie dankbar zeigte er sich,
dass ich mich öfter mit ihm unterhielt. So sehr er der Gut-
müthigkeit und Gastfreundschaft des Sibiriers alles Lob angedeihen
liess, so sehr wusste er anderseits die Unwissenheit, Rohheit und den
Aberglauben zu schildern. Als Beleg für Letzteren erzählte er mir,
dass ein Bauer der im Begriff war auf die Jagd zu reiten, desshalb
umkehrte, weil er (der Pole) zufällig vor ihm über den Weg gegangen
war, welches jener für ein unglückverheissendes Omen hielt, sich aber
mit der Umkehr nicht begnügte, ‘sondern soweit ging das Gewehr
auf den vermeintlichen Unglücksvorhoten anzulegen.
Nicht weil ich den Mann entschädigen wollte, oder weil er nur
je eine derartige Andeutung machte, sondern weil ich ihn liebgewonnen
hatte freute es mich ihm einige kleine Gefälligkeiten erweisen
zu können und es würde mich noch mehr freuen, wenn sich
seine Wünsche in der Heimath erfüllt haben sollten. Waren sie
doch bescheiden: der Mann verlangte ja nichts als Arbeit zu finden!
Freilich konnte er nicht direct in die Arme seiner Eltern reisen,
sondern musste sich erst in Kiew stellen, um hier definitiv die Er-
laubniss nach Warschau reisen zu dürfen zu erwirken.
Wie der Name des Schiffes, „Beljetschenko“, zu Ehren des
Chefs des Deportirtenwesens benannt, daran erinnerte, dass wir uns
auf der grossen Wasserstrasse jener unfreiwilligen Reisenden befanden,
so wurden auch diejenigen denen dies nicht bekannt war daran gemahnt
durch das schwarze Ungethüm, welches der Dampfer im
Schlepptau führte. Es .war eins jener mächtigen Fahrzeuge,
von welchen die Firma Koltschin und Ignatoff, mit Unterstützung
der Regierung, drei erbauen liess und die in erster Linie für die
Üeberführung der Deportirten von Tjumen bis Tomsk dienen.
Während diese „Verschickten“ wie sie zuweilen in Sibirien heissen
früher grösstentheils in Westsibirien blieben, werden sie jetzt meist
Ostsibirien zugeführt. Schwere, zu Zwangsarbeit verurtheilte, Verbrecher
kommen, ausser nach Nertschinsk in Transbaikalien, zum
Theil sogar nach Sachalin in die Kohlenbergwerke. Da jährlich
11—12000 Deportirte Tjumen passiren, um von hier aus zu Schiff
nach Tomsk transportirt zu werden, so machte sich die Einrichtung
besonderer Schleppfahrzeuge nothwendig. Diese sogenannten
„Arrestantenbarschen“, seit 1872 in Dienst gestellt,, sind 250 Fuss
lange Fahrzeuge mit nur 3 Fuss Tiefgang und kosten je 30,000 Rubel.
Sie erhalten durch die mit Drahtgittern erhöhte käfigartige Riegelung
ein eigenthümliches, ungewohntes Ansehen und wie wir auf der Reise
nach Tjumen die kleinen Käfigwagen für Deportirte anfänglich für
Geflügeltransportwagen hielten, so machte sich auch bei diesen grossen
Schiffen der Eindruck einer colossalen Voliere geltend. Das ganze
Schiff ist seinem Zweck entsprechend im Gefängnissstyl eingerichtet.
Wie der Raum ist auch das gitterumrahmte Verdeck in Zellen em-
getheilt, und dient den Gefangenen täglich für gewisse Stunden als
Aufenthalt, um frische Luft zu gemessen. Ausser den nöthigen
Küchen- und Wascheinrichtungen giebt es ein Lazareth und eine
Apotheke an Bord. Die 25 bis 40 Soldaten zählende Bewachung
steht unter dem Befehl eines Lieutenants, der während des Sommers die
wenig angenehmeBeschäftigung hat, beständig von Tjumen nachTomsk
und wieder zurückzufahren. Die Gefangenen selbst sind im gewissen
Sinne einer Reisegesellschaft auf gemeinschaftliche Kosten zu ver-
gleichen, wenigstens insofern, als sie die ihnen für den Kopf täglich
von der Regierung bewilligten 15 Kopeken zusammenschiessen und
ihre Verpflegung darnach en gros einkaufen lassen, wobei sie sich Angesichts
der billigen Preise der Lebensmittel nicht schlecht stehen.
Bei der grossen Anzahl der „Verschickten“, für welche die
Regierung pro Kopf 6 '/2 Rubel Passage zahlt konnte sich nicht