(p. 176 und 235), die Russen und Syrjänen tief beschämen, von
denen er wiederholt der lieblosesten Behandlung ausgesetzt war.
Wenn nachweislich in Zeit von 50 Jahren bei Ostiaken und Samojeden
je ein Mord aus Leidenschaft verübt wurde, so kann man fast
sagen, dass dieses Verbrechen bei ihnen unbekannt ist. Wie tief
die Ehrlichkeit wurzelt lernten wir auf der Tundra bereits kennen
und Middendorff weiss nicht blos von verlassenen Schlitten und
Fuchsfallen zu berichten, die unangetastet blieben, sondern sogar
von einem Fasse Schnaps (p. 1430). Bei' Diebstählen handelt es
sich also wol nur um Rennthiere und auch diese bereiten der Behörde
selten Mühe, da die Eingeborenen derartige Fälle unter sich
schlichten. Als Regel gilt dann, dass der Dieb für ein gestohlenes
Ren zwei wieder ersetzen muss. Neben dem ausgesprochenen Wohl-
thätigkeitssinne*) (Castr. p. 230) findet sich auch Kinderliebe sehr
entwickelt, die, wie Schrenk anführt, so häufig Adoption im Befolge
hat. Ebenso ist Gastfreundschaft ein Hauptziig, sowol bei
Samojeden als Ostiaken. Leider trägt derselbe mit zum allmäligen
materiellen Verfalle bei, denn es ist allgemein Sitte, dass sich der
Arme vom Reichen oder Wohlhabenderen mit ernährt, so lange
dieser nur noch Etwas geben kann. Diese Hilfsbereitschaft wird
als so selbstverständlich betrach et, dass sie jede Dankesäusserung
ausschliesst. Castren sagt (p. 200) von den Samojeden: „in ihrer
Sprache giebt es nicht einmal das Wort „danken!“ aber gieb einem
Samojeden einen Schluck Branntwein so geht er für Dich in den
Tod. Ich habe in der That angefangen zu glauben, dass das besagte
Wort von einem S . . . . t erfunden ist, der für den billigsten
Preis sich einer Verpflichtung entledigen wollte.“ "Trotz zahlreicher
Blinder und anderer Hilfsbedürftiger sind wir nie angebettelt
worden.
Middendorff macht auch auf die hohe Ehrfurcht vor dem Alter
und die Sanftmuth der Kinder aufmerksam. Wir selbst sahen
letztere niemals sich in der rohen Weise balgen, wie dies so oft bei
uns der Fall ist und die Verträglichkeit ostiakischer Kinder war
oft geradezu überraschend. Stets pflegten sie kleine Geschenke an
*) Schrenk theilt (p. 516) ein beherzigenwerthes Beispiel mit, wo ein Samojede,
den Bussen fast nm seinen ganzen Besitz an Benthieren betrogen hatte,
dennoch russische Waisen unterstützte. Man sieht dass die höchste Moral der
christlichen Lehre „liebe Deinen Nächsten als Dich selbst“ sich auch bei Unge-
tauften findet.
Esswaaren unaufgefordert untereinander zu theilen und niemals
entstanden jene widerlichen Streitigkeiten, welche Eltern bei uns
zuuächst mit dem Citat „der Klügere giebt nach“ zu schlichten
versuchen. An Artigkeit und gutem Betragen könnten daher diese
Naturkinder vielen der unseren als Beispiel dienen, wie im Allgemeinen
bei Ostiaken und Samojeden viel weniger Rohheit herrscht
als bei uns. Wenn diese einfachen Leute, mit deren blossem Namen der
Gebildete fast unwillkürlich den Begriff von roh verbindet, unsere
Zustände sehen sollten, in denen, trotz aller Cultur und Aufklärung
durch Wort und Schrift, die grössten Scheusslichkeiten und
Bestialitäten, häufig selbst von „gebildeten“ Menschen begangen
werden, wo, meist unter dem Entschuldigungsgrunde der Trunkfälligkeit,
Messer und Gewaltthätigkeiten aller Art an der Tagesordnung
sind, sie würden uns mit Recht zurufen: „wir Wilden sind
doch bessere Menschen!“
Ob diese sittlichen Handlungen „mehr aus Instinet als aus
Rechtsbewusstsein“ entspringen, wie Castren annimmt, würde
unseren Richtern ziemlich gleichgültig sein, die ja eben nur nach
Thatsachen rechnen. Auf Grund der letzteren bestätigt sich nun
anch hier die betrübende Wahrnehmung, dass die Moral auch dieser
„Wilden“ da am niedrigsten steht, wo sie am meisten mit Europäern
in Berührung kamen. So erklärt Castren, dass die Ostiaken um
Obdorsk, die „in der tiefsten Wildheit leben,“ die sittlichsten sind,
und v. Middendorff (p. 1432) bestätigt dasselbe für die Samojeden.
Wenn die unlauteren Elemente, welche gemeiniglich an der Spitze
der Civilisation zu marschieren pflegen, an diesem Verschlechterungsprozesse
nun auch hauptsächlich schuld sind, so ist es doppelt beschämend,
dass das Christenthum hier, wie anderwärts, nicht im
Stande war, diese schädlichen Einflüsse wieder auszurotten, obwol es
schon seit Generationen eingeführt wurde. Wie es mir scheinen
will hat sich die Mission der orthodoxen Kirche überhaupt meist
mit der Taufe begnügt, hie und da eine Kirche errichtet, für die
Schule im Ganzen aber fast nichts oder nur sehr wenig gethan.
Dies ist z. B. aus Schrenk ersichtlich, der (p. 242 245) einen geschichtlichen
Abriss der Mission in der Grosslandstundra giebt.
Sie wurde unter der Oberleitung des Archimandrit Venjamin 1822
begonnen und bekehrte bis 1830 fast alle westlichen Samojeden;
nur 500—600 entzogen sich der Taufe und flohen theilweis über
den Ural. Es geschah dies nicht in Folge gewaltsamer Massregeln
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