nur für etliche Nachtstunden verstummt, gehört haben, um sich einen
Begriff von dem friedlichen Sinne und der unerhörten Geduld der
Menschen zu machen, welche dieses Treiben unmittelbar neben sich
dulden. Für solche Lejstungen im Yogelschutze könnten gleich
ganze Gemeinden zu Ehrenmitgliedern unserer Thierschutzvereine
ernannt werden!
Wir waren aus muhammedanischem Gebiete wieder heraus, denn
vor oder am Eingänge der Dörfer, sowie in diesen selbst, li essen
sich wieder Borstenthiere sehen, aber unser Dolmetscher konnte
nicht immer so recht mit Russisch durchkommeu., Das lag aber
nicht an ihm, sondern an den Leuten selbst die Wotjäken waren.
Sie gehören zum grossen finnischen Sprachstamme*) und bilden,
nach Castrén, mit den Permiaken und Sirjanen die nördliche oder
Perm’sche Gruppe. Ihre Zahl schätzt Castrén auf 100,000 (v. Längen-
feldt auf 235,000), die in den Gouvernements Kasan, Orenburg und
Wiatka wohnen und dem Namen nach sich zwar zum Christenthum
bekennen, aber zum Theil noch sogenannte „Heiden” sind. Die
Gebräuche der letzteren schildert unter den älteren Schriftstellern
namentlich Rytschkow (Tagebuch p. 163) ausführlich; ebenso Gmelin
(I. p. 89) und Pallas (III. p. 475), welche Darstellungen wol noch
heut zutreffend sein dürften, so dass ich auf dieselben verweisen
kannji jr-r Aus eigener Anschauung habe ich ja nichts zu berichten,
als höchstens, das mir bei den Wotjäken die rothblonde Haarfärbung
auffiel;, aber wir lernten diese Leute als Jemtschiken hochschätzen
und ich möchte ihnen fast vor den Tataren den Preis zuerkennen.
Dass sie Hügel meist in Carrière zu nehmen versuchten rechne ich
ihnen nicht hoch an, denn das ist eine Sitte die der russische Kutscher
mit dem türkischen gemein hat, aber was unsere wotjäkischen
Jemtschiken in der Benutzung jeder auch der geringsten Schneefläche
leisteten, war staunenswerth. Bald ging es im Eise des Strassen-
grabens, bald auf der benachbarten Wiese weiter und in den Dörfern
fuhren wir bald rechts, bald links hart unter den Fenstern weiter.
Hindernisse, welche einen Kutscher bei uns in ernsteste Verlegenheit,
womöglich zum Umkehren, bringen würden, galten für nichts. So
brachte es einer der Jemtschiken fertig, mit dem Schlitten über
mehrere im Wege liegende Balken zu fahren, ein Anderer über einen
*) Beachtenswerthe Notizen über die hierher gehörigen Völker, soweit sie auf
dieses Gebiet Bezug haben, giebt Castrén: Reiseberichte und Briefe aus den Jahren
1845—49 p. 9—22.
i 3 Fuss breiten Graben zu setzen, wobei die Pferde einen ebenso
k kühnen Sprung machen mussten als der Schlitten, der ihnen aber
■jedenfalls besser bekam als den Insassen des Letzteren. Die wot-
Bjäkisehen Jemtschiken kamen mir vor wie Lemminge, welche auf ihren
■Wanderungen kein Hinderniss kennen; ich würde mich nicht ge-
■jwundert haben, wenn sie es versucht hätten quer über eine Hütte
■zu fahren.
Aber gegenüber dem immer intensiver einwirkenden Thauwetter
«Lnd dem folgerechten Schwinden des Schnee’s konnte selbst die
^Eösste Kunst im Fahren uns nicht mehr länger den Schlitten als
IsGefährt erhalten. Wir mussten ihn verlassen; nicht auf immer,
Höenn einige Monate später, mitten im Hochsommer, sausten wir wieder
»freilich in Narten, aber von Renthieren gezogen, über das Moos
Kind die Moräste der Tundra. So bestiegen wir denn auf der letzten
■Station vor Perm Telegen, d. h. gewöhnliche Bauernwagen, auf denen
■wir Nachmittags 2 V2 Uhr unsern feierlichen Einzug in diese Gou-
Kvernementsstadt hielten und im Posthotel abstiegen. Wir hatten
■zu den 577 Werst (ca. 82 deutschen Meilen) 5 Tage l l/2 Stunden,
■ also trotz allen Schwierigkeiten immerhin weniger Zeit als von
■ Nishnej nach Kasan gebraucht. Graf Waldburg-Zeil legte auf der
I Rückreise diese Strecke in 64 Stunden zurück.
Perm imponirt in jeder Hinsicht weniger als Kasan; es hat
I breite Strassen, viele wüste Plätze, weniger und minder prachtvolle
I Kirchen und besteht aus meist einstöckigen Häusern. Auf dem sehr
I grossen Marktplatze bemerkte ich viele und schöne Ziegen, dagegen
i war die geringe Anzahl von Schweinen auffallend. Perm zahlt nach
I Schwanebach etwas über 22,000 Einwohner und ist als Endpunkt
I der Dampfschiffahrt und der Karawanenstrasse äusserst wichtig.
I Schon 1878 soll es die Eisenbahn*) direct mit Sibirien (Jekaterinen-
[ bürg) verbinden und damit wird die Bedeutung als Durchgangsort
I wesentlich erhöht werden.
Wir mussten in Perm länger verweilen als uns lieb war, denn
■ obwohl es meines Wissens keine Sehenswürdigkeiten bietet, galt es
■ für das Weiterkommen Vorsorge zu treffen. Da die Nachrichten
K über die Schneebahn des Ural sehr betrübend lauteten, so musste
■ es auf Wagen weitergehen. Zwei Postwagen waren leicht gemiethet,
*) Zeitungsberichten zufolge ist diese Strecke am 11. März 1878 eröffnet worden,
doch war dieselbe, wie ich aus directen Quellen erfuhr, im Juli noch nicht fertig.