wurde der Boden steinig und das kurze frisch entsprossene Gras,
sowie die Gebüsche zeigten deutlich, dass sie erst vor Kurzem von
der Last der Schneedecke des Winters befreit worden waren. Als
wir die Nähe der ersten Schneeflecke erreichten, erwartete uns eine
Ueberraschung der seltsamsten Art! Wir erblickten nämlich ein
schwarzes Thier, welches ich auf den ersten Blick für einen Bären,
Tamar-Bei dagegen für einen Maral (Hirsch) hielt. Es war keins
von beiden; denn mein Fernglas überzeugte mich sogleich, dass wir
es mit einem Pferde und zwar einem zahmen zu thun hatten. Zwei
Kirghisen fingen es ein und zu unserer Ueberraschung hatten wir
einen vierbeinigen Deserteur im Besitz. Es war nämlich ein Artilleriepferd
der Batterie, die an demselben Tage nach Wernoje ausgerückt
war, welches wahrscheinlich aus Widerwillen gegen, einen möglichen
Feldzug, sich losgerissen hatte und unter Mitnahme des. Geschirrs
in die Berge entwichen war. Wir brachten es mit heim und lieferten
es gegen Gotteslohn beim Artillerie-Depot ab. Nach diesem Intermezzo
verfolgten wir unseren Weg aufwärts, der je höher, desto beschwerlicher
wurde. Der tiefe Schnee machte endlich das Weiterkommen
zu Pferde unmöglich und so gingen wir, anscheinend nicht
zur besonderen Freude der Steppensöhne, zu Fuss- weiter. Aber
unser Vordringen wurde bald durch den weichen Schnee, in welchen
wir oft bis an den Leib einsanken, verhindert und so mussten wir
bei einer Höhe von 1930 Meter Halt machen. Wir waren so hoch
gekommen, dass wir über den Kamm des Gebirges hinwegsehen
konnten und genossen einen herrlichen Anblick. Mit Ausnahme
des Nordens mit einem unendlichen Fernblick auf die Steppe des
Ala-Kul, begegnete das Auge nach allpn Richtungen hin schneebedeckten
Gebirgen. Im Osten erblickte man die Ausläufer des Ala-
Tan bis gegen das chinesische Grenzgebirge Barlyk hin, im Westen
die Kopalkette, im Süden den Hauptstock des Ala-Tau mit seinen
zuckerhutförmigen Pies, die 10,000 Fuss und mehr Höhe erreichen
mögen. Mit der Kammhöhe hatten wir eine wol 30 Werst breite
Hochebene erreicht, auf welcher die Kirghisen im Sommer ihre
Heerden, mit Ausnahme der Kameele, weiden. Die Grenze des Baumwuchses*)
fand ich bis zu 1840 Meter reichend; weiter aufwärts
machte sich hauptsächlich Krüppelwachholder bemerkbar. Adler und
*) Alex. Schrenk fand im Quellgebiet des Baksan noch in einer Höhe von 6550 Fuss
schöne Rothtannen, aber bei 7700 Fuss keinen Baumwuchs mehr. Die Vogelbeere
wuchs noch in einer Höhe von 7500 Fuss, Zwergwachholder (Juniperus nana) bis
Raben waren die einzigen sichtbaren Vertreter thierischen Lebens.
Aber beim Anstiege hatten wir die Spur eines Bären, sowie eines
Rudels von sieben Maral bemerkt. Die sehr steilen z. Th. mit
Geröll bedeckten Hänge verlockten uns Steine hinabzuwälzen, die
grossartigen Effect machten aber auch bisher verborgene Thiere zum
Vorschein brachten. So wurden gleich beim ersten Steinhagel vier
Ulare (Megaloperdix spec.?) aufgescheucht, und bald darauf zwei
Steinböcke (Capra sibirica), die ich lange sehnsüchtig mit dem Fernglase
betrachtete-. Leider war jeder Jagdversuch aussichtlos, aber
dieser Ausflug hatte mir immerhin zur Genüge gezeigt, welches
reiche Gebiet der Ala-Tau für den Jäger und Naturforscher ist, um
doppelt zu bedauern so bald aus demselben scheiden zu müssen.
Nachdem wir den Platz, wo die Pferde Zurückbleiben mussten, wieder
erreicht hatten, ging es schnell zu Thale und gegen 8 Uhr Abends
trafen wir wieder in Lepsa ein.“
Mir selbst war es nicht möglich in’s Hochgebirge zu kommen,
denn die Zeit verging mir, in ununterbrochenem Eifer zu sammeln
und das Gesammelte zu erhalten, wie im kluge. Die durch Vermittelung
des braven Popen & der eigens kam um die so weit gereisten
Deutschen von Angesicht zu Angesicht zu sehen und dabei
nicht vergass das stets gefüllte Glas auszutrinken, aufgebotenen
Schulkinder brachten des Lebenden in Hülle und Fülle. Dass dabei
jene komischen Enttäuschungen wie sie dem reisenden Naturforscher
überall Vorkommen, nicht ausblieben, lässt sich denken.
Da waren z. B. in einer Schachtel unzählige Käfer mit Schmetterlingen
zusammengepfercht und bildeten ein Konglomerat abgerissener
Beine und Flügeldecken oder ein anderes Behältniss spie Kröten,
begeiferte Mäuse und zerbrochene Vogeleier zugleich- aus. Und
dennoch musste Alles lächelnd angenommen und entsprechend honorirt
werden, um die jugendlichen Sammler in ihrem Eifer nicht erkalten
zu lassen.
Für den 15. Mai hatte Obristlieutenant Friederichs eine Partie
nach dem herrlichen Alpsee Dschasil-Kul arrangirt, an der sich seine
liebenswürdige Tochter und Hauptmann von Tyzenhausen betheiligten.
Gegen 6 Uhr früh wurde in zwei Tarantassen und einer Begleitung
8000 Fuss, und der Sadebaum (Juniperus Sabina), welcher der höchstgehende
Strauch ist, bis 8600 Fuss. In 10,000 Fuss Höhe wuchsen noch Primula nivalis
und Rhodiola gelida und Bryomorpha rupifraga. —
F i n 8cli, Reise. I. 12