Dass, wie auch schon oben angeführt, die Kirghisen nicht als
muthige und tapfere Krieger gelten können, wird von allen Beobachtern
einstimmig anerkannt; um so verschiedener lauten dagegen
die Urtheileüber ihren Character und geistigen Fähigkeiten. Während
Rytschkow ihnen fast alle guten Eigenschaften abspricht, weiss
Fuhrmann kaum eine schlechte zu nennen. Pallas erwähnt unter
den letzteren nur Eigennutz und Verschlagenheit und Meyer, dessen
Urtheil jedenfalls Werth hat, bezeichnet sie als leichtsinnig, wortbrüchig,
zu Unruhen geneigt, träge und raubsüchtig, aber alle Beobachter
rühmen ihre Nüchternheit und vor Allem die Gastfreundschaft.
Diebstahl, ausgenommen an Pferden, soll ebenfalls nur
selten Vorkommen. Wir selbst können uns diesen Zeugnissen nur
anschliessen. Niemals ist uns auch nur das Geringste entwendet
worden, immer begegnete man uns in der höflichsten und bescheidensten
Weise, und ganz besonders zeigte sich uns gegenüber ihre
uneigennützige Gastfreundschaft. Dieselbe würde, wie Sultahn Abin
Dai'r versicherte, ganz ähnlich sich geäussert haben, auch wenn wir
nicht von so einflussreicher Seite eingeführt worden wären.
Diese Gastfreundschaft, eine angeborene Tugend aller Nomadenvölker,
selbst der armen Samojeden und Ostiaken, ist durch die
Satzungen des Islam, dem alle Kirghisen angehören, wol noch verstärkt
worden. Sie sind Suniten, aber im Ganzen nicht eifrige
Mahammedaner und wenig mit dem Koran bekannt. Ihre herumziehende
Lebensweise, welche den Besuch von Moscheen, sowie die
Unterweisungen von Mollahs und Chodschas nur ausnahmsweis gestattet,
sind die natürlichen Ursachen dieser Lauheit im Islam.
Immerhin werden Beschneidung, sowie die hohen Feste (wie Beiram,
Kurban-beiram-u. A.) bei den Kirghisen gefeiert, wenn auch die
strengen Fasten des Rhamadan, sowie die täglichen Gebete und
Waschungen nur oberflächlich beobachtet und gehalten werden.
Dr. Brehm erregte daher bei den Kirghisen überall gewaltiges Aufsehen
durch seine Kenntniss des Islam und des Koran, von dem
er mehr Suren auf Arabisch herzusagen wusste, als irgend ein
Kirghisen-Sultahn, dessen ganze Weisheit niemals über die Fathah
(erste Snre) hftausreicht. Neben herumziehenden Mollahs und Chodschas,
meist Tataren oder Taschkendern, stehen aber noch heut
Wahrsager verschiedener Grade und Klassen bei den Kirghisen in
hohem Ansehen (welche Pallas I. p. 393 ausführlich beschreibt).
Die nobelste Kaste derselben, die sogenannten Jauruntschi, wahr