auch wieder gründlich zu darben. Uebrigens habe ich niemals bemerkt
, dass sich Einer überessen hätte, wie dies bei uns so häufig
vorkommt, dafür sorgt schon der ausgezeichnete Magen dieser Leute.
Wir hatten uns inzwischen im Tschum eingerichtet, d. h. hingestreckt
und wurden hier mit Thee bewirthet. Denn Dsäungiä
hesass nicht allein solchen, und zwar wirklichen (nicht Ziegeithee),
sondern auch sehr hübsche Tassen und sogar Zucker, den eine seiner
Frauen iu Ermangelung von etwas Anderem erst mit dem Messer,
dann allerdings wenig einladend, mit den Zähnen vollends zerkleinerte.
Dsäungiä, ein „Reicher,“ wol bald ein Armer! seines Volkes, war
nicht durch Glasperlen, Messingringe und ähnlichen Klimperkram
zu gewinnen, nur Schnaps würde seine Wirkung gethan haben, aber
in Anbetracht unseres geringen Vörraths konnte ich ihm bl'os ein
Paar Gläschen verabfolgen: Tropfen auf einen heissen Stein! Als
alle Weisen ums Feuer versammelt waren, Dsäungiä selbst nackend*)
mit lose nmgeschlagenem Pelz, so recht eigentlich in seiner häuslichen
Gemüthlichkeit, da kam die Verhandlung erst in Fluss , und
bereits viele durchsprochene Punkte wurden immer aufs Neue be-
rathen. Dass an ein Abstehen eines Theiles der Heerde nicht.zu
denken war, konnte man dem Manne nicht verargen. Hatte er
doch augenblicklich selbst nur noch unter 500 Renthieren kaum
200 brauchbare Zugthiere und bei der rapiden Zunahme der Seuche
brauchte er diese eben zum Transport seiner Schlitten und Habseligkeiten
bis zur Schtschutschja selbst. Vor unseren Augen entleerte
er Säcke mit getrockneten Fischvorräthen, weil dieselben nicht mehr
fortgesebafft werden konnten. Er machte mir daher den Vorschlag,
nach diesem Flusse mit ihm zurückzukehren, was drei Tage erfordern
sollte, dort werde er alles, was ihm an Zugthieren geblieben,
zwischen der russischen Expedition und unserer theilen, die übrige
Heerde, junge Thigre und Kälber, todtschiessen, um die Felle zu
retten, und dann auf Böten nach dem Ob herabgehen, "eine Proposition,
die ich unsererseits abschlagen musste. Das Resultat der langwierigen
Verhandlung, bei der meine Gefährten längst schliefen, da sie bis
früh 2 Uhr währte, war endlich das, dass sich Dsäungiä t entschloss,
*) Da Samojeden und Ostiaken in diesen Gegenden keine Hemden oder Unterkleider
tragen, so wird nach Ausziehen des Pelzes der Oberkörper völlig entblösst.
Dagegen werden die Lenden von ledernen, badehosenartigen Beinkleidern bedeckt
und die Beine stecken in langen ledernen Stiefeln (Piwe oder Pime), • die unter
der Hüfte an einen Leibriemen befestigt werden.
mir neun Renthiere ä 6 Rubel*) nebst drei Schlitten und Geschirre
zu verkaufen. Für die meinerseits, namentlich den Damen gespendeten
Geschenke überreichte mir der Grosse einen Eisfuchsbalg.
Ich hatte während der Zeit übrigens genügend Müsse an Ostiaken-
weibern Pflege und Wartung der Säuglinge, anderer Kinder und
junger Hunde Beobachtungen zu machen, die freilich hinsichtlich
der Reinlichkeit nicht sehr empfehlend ausfielen, mir aber zeigten,
dass auch in diesen Frauenseelen Gram über verschmähte Liebe
wurzelt. Dsäungiä besass nämlich 2 Frauen, weil seine Stellung
als vornehmer Mann dies fordere, wie er versicherte. Sie waren
wie Lea und Rahel, d. h. die eine alt und. hässlich, die andere
hübsch und jung, und wie bei Vater Jacob, ebenfalls die hässliche
seine Favoritin, weil sie ihm bereits vier Kinder geschenkt hatte,
während er von der hübschen noch keins besass. Das gab Anlass
zu Zurücksetzungen, denn die Ostiaken sind sehr kinderliebend und
Kinder in der That Reichthum der Familie, und diese Zurücksetzung
zeigte sich auch heut. Als Dsäungiä mit seinen beiden Ehegenossen
sich unter das kattunene Mückenzelt zurückgezogen hatte, musste
Rahel dasselbe bald wieder verlassen, um ihre Stelle unserem Hat
einräumen, der als Schamane auf diesen geschätzten Ehrenplatz Ansprüche
hatte. Sie sass nun wol 2 Stunden lang bitterlich aber
still weinend, bis Müdigkeit auch ihr die Augen schloss. Zu einer
Familienscene kam es übrigens nicht, ebensowenig spielte Eifersucht
mit. Denn ich sah noch am Morgen dass Rahel mit Lea ohne
Groll verkehrte und ihr das Haar kämmend genau in der Weise
diejenigen kleinen Liebesdienste erwies, wie man dies täglich vor
jedem Affenhause sehen kann.
Der andere Tag bot uns ein neues grässliches Bild der Verheerung.
Dreissig weitere stattliche Ren lagen verendet oder im
Verenden um die Tschums. Ich zeichnete mit Betrübniss die beigegebene
Scizze (Abb. 36), welche eben nur einen kleinen Theit
des Todesfeldes veranschaulicht. Wahrhaft erschreckend ist der
furchtbar rapide Verlauf der Krankheit. Anscheinend völlig gesunde
kräftige Thiere bleiben stehen, fangen an zu keuchen, zu schnauben
*) Es war dies der gewöhnliche Preis, zugleich aber auch ein schöner Beweis
der Uneigennützigkeit der Eingebornen, die aus unserer Lage keinen Vortbeil zu
ziehen suchten. Die russischen Schmiede dachten niemals so, sondern forderten
für Reparaturen enorme Preise und als die Dunganen Kuldscha belagerten, verkauften
russische Händler den Belagerten Schafe zum 6 - und 10 fachen Preise.