32 II. Kapitel.
grosse Menge Leute versammelt, die alle ehrerbietig grüssten, eine
Aufmerksamkeit, die uns sehr unerwartet kam. Aber wir sollten
bald noch mehr überrascht werden, denn kaum hatten wir Pelz
und Filzstiefeln abgelegt und es erschien in voller Uniform mit
Epauletten, Orden und Degen'ein gar stattlicher Herr, der uns auf
sibirischem Boden willkommen hiess und uns nach Tjumen geleiten
wollte, wo wir bereits erwartet wurden. Es war Wassilij Gonstan-
tinowitsch Igumnoff, der Ispravnik von Tjumen, also eine sehr hervorragende
amtliche Person, in dessen Hand die Hauptverwaltung
des Kreises ruhte. Wir hatten gehofft die etwa 54 IVerst bis
Tjumen schnell zurückzulegen, uns aber darin wieder getäuscht,
denn es liess sich eben nichts mit Bestimmheit Voraussagen.
Schon in der Frühe waren feine Schneeschauer gefallen, jetzt
erhob sich ein scharfer Nordost, der uns in den vorn offenen Wagen
feine Eispartickelchen in’s Gesicht wehte, die gleich Nadeln stachen.
Der Himmel trübte sich mehr und mehr, Schneewolken jagten einander,
es wurde empfindlich kalt, kurzum je länger je ungemüth-
licher, besonders da die Ungeduld auf das herrliche Mahl, welches
unserer harrte sich von Stunde zu Stunde vermehrte, denn wir
hatten seit früh 7 Uhr keinen Bissen genossen. Freilich reisten wir
eben in Sibirien, und die Neulinge konnten dem Lande für diesen
Empfang nicht dankbar genug sein: es zeigte, wenn auch immerhin
nur mild, dass man es nur in jeder Weise entsprechend ausgerüstet
betreten darf. Und in Bezug auf Winterbekleidung waren
wir es nicht, denn bei diesem schneidenden Winde und den 13° Re-
aumur Kälte, konnte man leicht einsehen lernen, dass unsere Pelze
wol für deutsche, aber nicht für sibirische Verhältnisse eingerichtet
waren. Trotz Wollenzeug, doppelter Weste, JagdflaüSch und Pelz
fror mich so entsetzlich, dass ich mir oft wie in Hemdsärmeln sitzend
vorkam. Will man sich also verwehren, so muss man sich nach
Landessitte in 2 Pelze kleiden. Der eine, innen mit Schafpelz gefüt-
terte gleicht einem bis über die Knie reichendem Rocke und wird j
seitlich durch engschliessende Oesen zugeknüpft. Ueber diesen gehört
eine sogenannte „Dacha“, d. h. ein ausserordentlich weiter, mit
Kaputze versehener Pelz, innen aus den Sommerfellen des Eisfuchses,
aussen aus Renthierkalbfellen gefertigt, der deshalb sehr leicht ist
und in den man sich ganz einhüllen kann. Als Kopfbedeckung
trägt man dazu am besten eine samojedische Kappe, innen und
aussen aus Fell vom Rennthierkalbe, deren Öhrklappen in lange
breite Streifen enden, die als Shawl um Hals und Kinn geschlungen
werden können. Und vor allen Dingen sind Filzstiefeln nicht zu
vergessen und ganz unerlässlich. So' ausgerüstet vermag man der
grössten Kälte zu trotzen, aber unsere deutschen Pelze wurden, wie
erwähnt, schon bei 13° bedenklich. Um gleich auch das Warum
anzuführen, bemerke ich, dass sie gewöhnlich zu wenig weit sind;
die Knie werden daher nicht gehörig bedeckt, die wenigen Knöpfe
sind ungenügend um vorn ordentlich zu schliessen und die Aermel
müssten bis über die Fingerspitzen hinausreichen um ihren Zweck
izu erfüllen. Denn selbst mit Pelzhandschuhen und Pulswärmern
erstarren Einem die Handgelenke wie Eis. Dabei haben unsere
’Pelze' noch einen anderen Uebelstand, der sich bei langen Reisen
sehr empfindlich bemerkbar macht. Durch ihre Dicke gestatten sie
den Armen nämfcch nicht sich gehörig an den Körper anzuschmiegen,
man ist gezwungen, sie unnatürlich weit abzuhalten und es entsteht
dadurch ein Gefühl des Absterbens in den Armen, das an ausbrechenden
Rheumatismus erinnert.
Trotz eines reitenden, mit Laterne versehenen Wegweisers, der
, uns am Eingänge der Stadt erwartete, konnten sich unsere Kutscher
nicht zurechtfinden, und irrten, durch Schneewehen noch mehr aufgehalten
, wol an eine Stunde in einsamen Strassen und über öde
Plätze umher, ehe sie uns Abends 9 Uhr im Hause unseres Gast-
freundes absetzten. Hier hatte man schon seit 5 Uhr mit einem
opulenten Mahle auf uns gewartet, -aber ich für meine Person war
so durchgefroren und erschöpft, dass ich vor Allem der Ruhe
bedurfte und froh war als ich mich zurückziehen konnte.
Schon in Russland erstaunt der Fremde, selbst wenn er mit
der mehr soliden Küche Norddeutschlands bekannt ist, über die so
reich ausgestattete Familientafel, aber man hatte uns gesagt, dass
das in Sibirien noch ganz anders kommen würde. Und was wir im
Hause von Iwan Iwanowitsch Ignatoff sahen, wie unser neuer Freund
hiess, bestätigte diese Prophezeihung vollständig. Kaum hatten wir
am Morgen Thee und Kaffee genossen, welche Getränke in Gläsern
und ebenso eleganten als werthvollen silbernen Einsätzen, von durchbrochener
Arbeit, präsentirt werden, und schon stand ein sogenanntes
Frühstück bereit. Dasselbe besteht aus warmen Speisen, als Geflügel,
Fleisch, Fischen und würde bei uns jedem Mittagsessen Ehre -machen.
rVie aber bei dem Letzteren, so geht auch dem Frühstück das sogenannte
„sakusit“ voraus, d. h. man begiebt sich, ehe man sich
F lu s c h , Reise. 1, 3