0! nein! kann ich darauf erwidern, das Innere des kleinen Blockhauses,
welches allerdings nur während der Fischereisaison als
Wohnung diente, war gar sehr reinlich, sogar gescheuert und damit
der gefiederte Hausgenosse keine unliebsamen* Folgen hinterlassen
konnte, hatte der Jurtenbesitzer vorsorglich ein Brett unter das
Nest befestigt. Comme chez nous!
Wir waren von Tschematschewskaja aus in dem unentwirrbaren
System schmälerer Nebenarme und Yerzweigungen des linken, meist
dicht mit Weiden bestandenen Ufers weiter gegangen und hatten
durch den Purschim die Sosswa erreicht, ohne dass uns dies recht
klar geworden war.
Es überraschte uns daher als wir Nachmittag 2 Uhr (9. Juli)
auf grünem hügeligen Ufer, von Wald umrahmt, etliche 20 Häuser,
darunter einige grosse, sogar ein weissgetünchtes steinernes mit rothem
Dache, und zwei stattliche Kirchen erblickten: Bereosoff (Beresow)!
So hatten wir denn die grössere Hälfte des Weges bis Obdorsk
hinter uns.
Obwol wir, nicht weit vor der Stadt, ein paar vergebliche
Schüsse abgegeben, also Lärm gemacht hatten, erschien der Ort
doch wie ausgestorben. Selbst als wir mit unseren Lotken vor den
Vorrathshäusern am Strande, unter denen eins die wolbekannte
Firma unseres Freundes Semzow trug, anlegten, erschien Niemand
zu unserer Begrüssung, was nach den bisherigen Erfahrungen auffallen
musste. So wandten wir uns denn ohne das übliche „grosse
Gefolge“ den Uferabhang aufwärts nach der Stadt zu, um einen
Herrn Nowikoff aufzusuchen, an den wir von Herrn Sidoroff in
Petersburg Empfehlungen mitbrachten. Auf dem Wege erregte ein
prächtiges Firmenschild unsere Aufmerksamkeit, welches auf blauem
Grunde in Goldschrift^die Aufschrift „Rheinischer Keller“ vorgaukelte.
Ich dachte dabei unwillkürlich nach Bremen und mein Geist weilte
in den hehren, altehrwürdigen Räumen des „Stadtweinkellers“.
Sahen wir hier nun überhaupt keinen Keller, sondern vielmehr eine
gewöhnliche Holzbaracke vor uns, so war immerhin die Möglichkeit
nicht ausgeschlossen, dass sich selbst bis hierher eine Flasche echten
Weines verirrt haben könne. Ein Versuch musste also in jedem
Falle gemacht werden. Dabei stellte es sich denn heraus, dass der
„Rheinische Keller“ eben keinen Grosdnyi vino (Traubenwein) enthielt,
sondern nur russischen „vino“ d. h. Schnaps ausserdem jene
Mixturen, die hier als Cognac, Xeres, Madeira, Gispanskii Vino
(d. h. Spanische Weine) u. s. w. verkauft werden und in Ermangelung
von etwas Besseren auch durch uns Abnahme fanden.
Der Ispravnik, Herr Popoff, war inzwischen zu unserer Begrüssung
erschienen und begleitete uns zu Herrn Nowikoff. Wir
wurden hier sehr freundlich aufgenommen, Uns Tschai (Thee) servirt,
aber die gewünschten Auskünfte erhielten wir nicht. Und zwar aus
dem einfachen Grunde weil, wie sich im weiteren Verlauf des Gesprächs
herausstellte, dieser Herr Nowikoff gar nicht der empfohlene,
der abwesend, sondern nur ein Namensvetter War, was
indess im Uebrigen dem guten Einvernehmen keinen Eintrag that.
Da Dr. Brehm seinen zu bescheiden veranschlagten Vorrath
Roth wein zu verstärken wünschte, ich andere Einkäufe zu machen
hatte, so dehnten wir unseren Rundgang aus und lernten dabei im
Grossen und' Ganzen die Stadt kennen. Aaron Aaronewitsch, ein
verbannter, sogenanntes Deutsch sprechender Jude aus Odessa, hatte
uns freilich wegen Wein abgerathen, weil wir überhaupt keinen
finden würden, was sich ebenso richtig erwies, als seine treffende
Bemerkung: „Was wolle Se trinke, Rothwein? Trinke Se Quass!“*)
Wir kamen somit fast in alle Läden und in verschiedene Kneipen,
an welchen Bereosoff, als Emporium des Schnapshändels **) für die
Eingebornen eben keinen Mangel leidet. In einer solchen Giftbude
eröffnete sich uns ein minder erquickendes, aber originelles Bild.
Diesmal nicht Landschafts- sondern Genremalerei: unsere Jemtschiki,
die guten Ostiaken, zum Theil in Begleitung ihrer besseren Hälfte,
hatten den ganzen mühseligen Verdienst mehrstündigen, angestrengten
Ruderns bereits in Schnaps umgesetzt und befanden sich in einem
dementsprechenden Zustande. Um die so oft gelesene Leistungsfähigkeit
der Ostiaken aus eigener Anschauung kennen zu lernen
und da eigentlich doch wenig zu verschlechtern war, Hessen wir
weiteren Stoff Vorfahren und überzeugten uns nun, dass jene Erzähler
die volle Wahrheit gesagt. Das zarte Geschlecht, ich muss
es leider gestehen, übertraf das starke noch um ein Beträchtliches,
und eine Schöne trank eine Flasche ganz allein aus, mit einer Schnellig*)
Ein durch Fermentation von Schwarzbrot und heissein Wasser bereitetes, säuerliches
Getränk, welches fast in jedem russischen Hause fabricirt wird und durch
Zusatz von Hopfen oder auch wol Honig, namentlich bei grösser Hitze, äusserst
angenehm und kühlend schmeckt,
**) Nach Poljakoff besitzt Bereosoff 5 Branntwein-Depots mit einem jährlichen
Umsätze von 50—70,000 B. ;;