Nicolaus Latkin, ein geborner Sibirier,*) und bekannt durch
verschiedene geographische Arbeiten über sein Heimathsland, sagte
desshalb auch in seinem Vortrage, welchen er bei der zu unserer
Ehre veranstalteten ausserordentlichen Versammlung, „der Gesellschaft
zur Förderung des russischen Handels und der Industrie“ in
St. Petersburg am 14. März 1876 über den „Ob und sein Stromgebiet“
**) hielt mit Recht: „Zur Lösung der Frage, ob es möglich
ist, einen Seeweg nach der Obmündung zu eröffnen,' bedarf es einer
genauen Erforschung der Mündung und der Barre des Ob.“ Wir
haben gesehen (p. 385) dass noch in demselben Jahre von Moskau
aus dies Ziel durch die Expedition mit dem Segelschiff „Moskau“
(Capt. Dahl) angestrebt wurde. Es würde aber jedenfalls zur
schnelleren und gründlicheren Lösung der Frage beigetragen haben,
wenn auch die Petersburger Gesellschaft, statt die Kräfte zu zersplittern,
mit einer besser ausgerüsteten Dampfer-Expedition in derselben
Richtung vorgegangen wäre.
Wie ich indess schon (p. 385) andeutete, suchte sie auf einem
bedeutend näheren Wege ihr Ziel zu erreichen, welches Nicolaus
Latkin in seinem interessanten Vortrage wie folgt andeutet: „Um
von Westen her kommend in den Ob einzulaufen, müssen die Schiffe
die weit nach Norden sich erstreckende Halbinsel Jalmal, welcher
wiederum die weisse Insel (Bjela-Ostrow) vorgelagert ist, umfahren,
mithin einen zeitraubenden Umweg machen. Möglicherweise kann
dieser Umweg vermieden werden, wenn die Seeschifffahrt ihren End-
und Ausgangspunkt von der Baidaratzkyhucht (Ausbuchtung der
Karabai) findet und der Waarenzug seinen Weg über das nur 180
Werst breite Stück Land nehmen könnte, welches zwischen der
Baidaratzkyhucht und der Mündung des Obi in den Obimeerbusen
gelegen ist. Die Baidaratzkyhucht hat einen bequemen Hafen, der
Transport der Waaren würde vom Obi nach der Bucht zunächst
auf dem unterhalb Obdorsk sich in den Obi er giessenden Fluss
Schtutschia, der noch bis auf 100 Werst von seiner Mündung
schiffbar ist, dann bis nach der Bucht zu Lande geschehen. Der
Transportweg der Waaren vom Obi zu Seeschiffe würde auf diese
Weise um mehr als 1000 Werst verkürzt werden.“
*) Castren lernte denselben 1847 in Krasnojarsk kennen und spricht sich
über den jungen Mann mit Begeisterung aus (Reise p. 369).
**) Siehe: „Verein für die Deutsche Nordpolarfahrt in Bremen“ Nachtrag
zum Protokoll der 39. Versammlung am 4, März 1876 p. 449 —453.
Ein Blick auf die Karte muss diesen Plan allerdings Jedermann
als einen äusserst empfehlenswerthen erscheinen lassen. Die Sache
gewinnt dadurch, dass die Entfernung zwischen dem Ob und der
Kara-Bai (in der Luftlinie) statt 180 W. nur 130—140 W. beträgt.
Da man überdies die „Schiffbarkeit“ der Schtschutschja als gewiss
annahm, so hatte man in Petersburg vollkommen recht, als man
uns auseinandersetzte, dass es sich hier also nur um eine etwa 30
Werst betragende Landestour handle, die möglicher Weise durch
günstige Verhältnisse der Podarata noch abgekürzt werden könne.
So schien auch uns dieser Plan als ein äusserst gediegener und voraussichtlich
leicht ausführbar. . .
Nachdem ich jetzt so ziemlich alle auf jenes Gebiet bezüglichen
Nachrichten und deren Dürftigkeit kenne, verstehe ich allerdings,
dass Enthusiasten diesen Plan für wichtig und der Untersuchung
werth halten konnten, allein es ist mir nicht gelungen ausfindig zu
machen, welche Quellen hinsichtlich der „Schiffbarkeit“ der Schtschutschja
zu Grunde liegen. J e d e n fa lls w ü r d e n Erkundigungen bei dem
gründlichen Kenner jenes Gebietes, Professor Kowalski, das Irrige
dieser Annahme, sowie des ganzen Projectes, sogleich klar gelegt
haben.
Es ist mir wol bekannt', dass schon vor mehr als 2 /2 Jahrhunderten
ein Handelsweg*) über die Halbinsel Jalmal bestand, zu
einer Zeit als der Unternehmungsgeist für Sibirien fast mehr ent-
*) Die interessanten Berichte der Engländer William Gourdon, Richard
Finch I A., welche 1611 nnd 1614 nach der Petschora vordrangen n. z. Th hier
überwinterten, lassen keinen Zweifel, dass damals, namentlich von Pustosersk ans,
directe Handelsfahrten nach dem Ob, Tass und Jenissei unternommen wurden
Es pflegten bis 30 Lotken, je mit 12 bis 30 Mann im Frühjahr auszugehen und
zwar auf dem bekannten Wege durch die Waigatsch-Strasse m die Karische Bai,
bis zur Westküste der Halbinsel Jalmal. Hier gingen sie unter 70» n, Br. den
Mutnaja-Reka (d. h. trüben Fluss) 8 Tage hinauf, gelangten dann m zwei untereinander
verbundene Seen, und nach Ueberschreitung eines nur 2 bis 3 Werst
breiten Schleppweges, wobei die Böte auf Schleifen gesetzt wurden, in den grünen
See (Zelenoje osero) nnd grünen Fluss, der so seicht war, dass sie oft die Lotken
ausladen mussten. Dies verursachte soviel Aufenthalt, dass vom Schleppwege i s
zur Mündung des grünen Flusses 10 Tage erforderlich waren. In 24 Stunden gelangte
man dann über den Ob-Meerbusen zum Tass und brauchte 4 bis 12 Tage
um diesen aufwärts gehend den Ort Mangasea zu erreichen. Die ganze Reise
würde also 4 bis 5 Wochen gedauert haben, konnte aber nicht jedes Jahr unternommen
werden. Man führte Mehl, Salz, Tuch u. s. w. zu den Samojeden, von
.denen man Pelzwerk, namentlich Zobel eintauschte. Von Mangasea ging man auf