von Deportirten, ein Heim, in welchem sie geistig und körperlich
zu brauchbaren Menschen herangebildet werden. Wir sahen verschiedene
nützliche Handarbeiten, die von den Zöglingen angefertigt
worden waren; grpssere Knaben lernten Handwerke, als Schuhmacherei,
Buchbinderei, u. s. w. Auch für Unterhaltung hatte man
gesorgt, und auf dem Spielplatze fehlte sogar Turngeräth nach
deutschem Muster nicht. Die Leiterin dieser humanen Anstalt, eine
würdige, ältere Dame, war zugleich deren Stifterin, die sie mit ihrem
Vermögen ins Leben gerufen hatte. Wenn ich nicht ohne ein
gewisses beschämendes Gefühl bekennen muss, den Namen dieser
edlen Menschenfreundin unaufgezeichnet gelassen zu haben, und ihn
daher hier nicht zu nenneu vermag, so entspricht dies wahrscheinlich
ihrem schlichten Sinne am meisten.
Ausser der Ignatoff’schen Werft, welche übrigens streng genommen
nicht zur Stadt gerechnet werden kann, da sie ca. 7 Werst
abliegt, besitzt Tjumen eine andere, sehr gut eingerichtete Maschinenfabrik,
welche Herrn Wardrapper, einem Schotten gehört. Hier
werden nicht nur allerlei Dampfkessel und Maschinen, sondern auch
alle Apparate zum Betriebe für Brennereien und Bergwerke fabricirt.
Der Bruder des Besitzers, Herr Thomas Wardrapper, Maschinist bei
Koltschin und Ignatoff, der sich unserer sehr annahm, war uns
namentlich als Dolmetscher von grossem Nutzen, da die Herren
sonst eben nur Russisch sprachen. Wir lernten durch ihn eine
grossartige Gerberei kennen, die seinem Schwiegervater, Herrn
Philemon Stepjanowitsch Kolmogoroff gehört, nur für den Armeebedarf
arbeitet und einen jährlichen Umsatz von 227,000 Rubel hat.
Es werden hier nur Häute von kirghisischem Steppenvieh und zwar
zu Juchten*) verarbeitet, ein Gerbeprozess, der bekanntlich mittelst
Rinde der Saalweide**) (Salix caprea, L.), geschieht. Dieses echte
Juchten hat übrigens die gewöhnliche Lederfarbe und nicht die bei
uns übliche rothe.
Wie man vor Jekaterinenburg schon in den Poststationen Verkaufsstellen
von dortigen Steinschleifearbeiten findet, so werden
*) Nach von Lengenfeldt (Russland im 19. Jahrh. 1875, p. 128 ) geht ein
grösser Theil des russischen Juchten nach dem Auslande, doch bezieht Russland
als Ersatz dafür eine bedeutende Quantität von gegerbten Fellen, gewiss der
schlagendste Beweis, wie unvollkommen noch die Lederfabrikation in Russland ist.
**) Nach Pallas (Reise 2. 1. p. 189) wird Birkenrinde uud Birkenöl ebenfalls
zur Juchtenbereitung verwendet.
einige Stationen vor Tjumen Wollteppiche feilgeboten. Sie sind
echt sibirisches Fabrikat, durchaus von grober Wolle sehr dick und
haltbar und werden in den umliegenden Dörfern hergestellt. Die
Muster haben meist europäische als Grundlage, sind aber sehr bunt
und ziemlich geschmacklos. Der Preis dieser Teppiche ist ein sehr
niedriger; ein dicker, schwerer, 8 Fuss langer, 6 Fuss breiter kostete
i B. 6 Rubel, ein an 20 Fuss langer, bunter, sehr hübscher Läufer
g 0 Rubel. Wir konnten daher nicht unterlassen einige Einkäufe
zu machen, denn im Uebrigen bot der Bazar, trotz seiner
Grösse, doch nichts für uns.
Unter den durchgehends weitläuftig angelegten Städten Sibiriens
ist Tjumen, mit seinen nur 18,000 Einwohnern, (15,512 nach
Schwanebach) offenbar die weitläuftigste, aber regelmässig gebaut.
Die Strassen sind sehr breit, ungepflastert, die Häuser meist aus
Holz. Doch giebt es immerhin recht hübsche Gebäude aus Ziegeln,
darunter eine Buchdruckerei, welche ganz achtbare Arbeiten liefert.
Wir erhielten hier eine kleine Humoreske, die in Wort und Bild
sibirische Städte und Zustände höchst gelungen vorführte. So wurde
u. A. der Unternehmungsgeist der Tobolsker dadurch satyrisirt, dass
man sie beschuldigte, hier wäre man bereits so weit, dass sich Jeder
seine Papieros selbst fertige und sich nicht scheue in eigener Person
seinen täglichen Schnapsbedarf zu holen.
Tjumen liegt an der Tura, einem ziemlich ansehnlichen Flusse
und wird überdies von der Tjumenka durchschnitten, welche hier
in die erstere mündet. Ueber die Letztere führt eine Brücke, an
der früher die Festung lag, welche J. G. Gmelin (Reise 4, p. 223)
wie immer ausführlich beschreibt, die aber als überflüssig längst
aufgehoben wurde. Zu Gmelin’s Zeit (1741) konnte man noch
Reste der Befestigungen sehen, denn Tjumen war eine berühmte
Stadt im alten sibirischen Tatarenreiche. Sie befindet sich schon
auf der Karte Herbersteins vom Jahre 1549 verzeichnet, obwol sie
erst um )584 in Besitz Russlands gelangte, Tjumen ist eine
ansehnlicher Handelsplatz. Im Januar wird hier ein Jahrmarkt abgehalten,
der mit zu den bedeutenderen Sibiriens zählt und dessen
Umsatz sich auf mehr als eine Million Rubel beläuft. Von hervorragender
Bedeutung ist aber Tjumen als Centrum der Handelswege
Sibiriens, sowol für die Karawanen als für Dampfschifffahrt. Die
Hälfte der Dampferflotte des Obgebietes hat daher hier ihren Sitz,