ihm gesessen und er rieth mir, ihn bei ähnlichen Fällen doch ja
binden zu lassen, seine Hand sei dann mitunter zum Stechen geneigt.
Ich konnte ihn vor ähnlichen Zufällen beruhigen, denn bei uns sollte
er nicht so viel Schnaps erhalten, das war sicher. Uebrigens hatten
die von meiner Seite namentlich an Madame gegebenen Geschenke,
Glasperlen, messingene Ringe, Messer u. s. w. aller Herzen mild gestimmt.
Mutter Dschunschi willigte nicht nur ein ihren Herrn Gemal
ziehen zu lassen, sondern verzichtete auch auf den Ersatzmann, indem
sie mit der Fischerei allein fertig werden könne. Old Dschunschi
zeigte mir den Inhalt eines Opferkästchens bei seinem Hausgott, der
in einem kleinen Hain thronte, und schenkte mir den Gott Njenei
njenitsche,*) dem der Schutz der Renheerden gegen Wölfe obliegt,
für ein meinerseits geschenktes amerikanisches 25-Centstück. Im
Uebrigen enthielt der Opferkasten einige alte Flicken, darunter auch
einen von Seide, einen plattirten Flaschenuntersatz, einen Stein und
den erwähnten Gott. Ein anderer Gott**) bestand in einem Stück
Ast, an welchen 2 Seitenzweige die Arme, 2 Astknorren die. Augen
darstellen sollen. Später bot Dschunschi, da ihm die Leute erzählt
hatten, ich sei bei den Unsern ein grösser Schaman, eine Art Brüderschaft
an, zu der aber eine Flasche Schnaps unumgängliches Er-
' forderniss sein sollte, wie auch Hat, unser ostiakischer Führer ernsthaft
versicherte. Ich liess mich zu einer halben willig finden, um
die Ceremonie kennen zu lernen, welche im Wesentlichen nur darin
bestand, dass die zwei weisen Männer eine Art Runenstab in die
Erde steckten, ein Beil daran hingen, sich daneben setzten und mit
ernsthafter gewichtiger Miene den Schnaps austranken.
Nach den Versicherungen des alten Michael und der Sirjänen
gilt diese Ceremonie, Tatibet genannt, als ewiger Freundschaftsbund
und das Beil soll an Eidesstatt symbolisch andeuten, dass es Den
treffen möge, der diesen Bund zu zerstören wagt. Auch der alte
Dschunschi versprach mit mir sterben zu wollen, und ich hatte in
der That keinerlei Grund später über ihn zu klagen. Jedenfalls
war er mir so treu als mancher sogenannte Freund, mit dem zwar
*) Derselbe, in rohester Weise eine menschliche Figur und einen Wolf darstellend,
nnd zwar aus Holz geschnitzt und mit einem rothen Bande zusammen-
gebnnden, befindet sich jetzt im Königl. Museum zu Berlin. — Ganz in ähnlicher
Weise bildet Middendorf den „Gott-Renthier“ der Assja- Samojeden ab (p. 1424).
**) Aehnliche, aber etwas bessere, geschnitzte Götzenbilder der Assja-Samojeden
stellt Middendorf (p. 1425) dar.
nicht in Schnaps und unter Beilen, aber bei schäumendem Rheinwein
und in begeisterten Reden der „ewige“ Freundschaftsbund geschlossen
worden war. —
Bruder Dschunschi hatte indess Blut geleckt und bat mich inständig
ihm doch Schnaps zu verkaufen.
Er besass nämlich Geld und zwar drei Rubel, die er kaum eine
Viertelstunde vorher von mir für drei merkwürdige Schaustücke*)
aus seinem Opferkasten gelöst hatte.' Jetzt wollte er gern die
3 R. für ein Glas Schnaps hergeben, ein Verlangen, das ich selbstredend
abschlug. Es zeigte indess deutlich wie leicht die auf der
Tundra hausirenden Händler die Eingebomen um ihren mühsamen
Erwerb bringen können.
Wir hatten im Laufe des Abends ein Gewitter**) mit Donner
und Blitz gehabt — wenn ich nicht irre das einzige, welches wir in
diesen Regione nerlebten —, welches uns Kälte und Wind hinterliess, so,
dass wir erst am Abend des folgenden Tages weiterkommen konnten,
fast gleichzeitig mit den Russen, denen wir auf der Weiterreise noch
einige Male begegneten. Der Charakter der Landschaft hatte sich
inzwischen etwas verändert und der Strom schlang sich durch sanfte
Höhenrücken dahin, die immer noch schönen, zum Theil waldartigen,
dichten Baumwuchs, Lärchen, zeigten, bis die letzteren nach und
nach immer spärlicher wurden. Sie bildeten aber immer noch Bäume
von 20 bis 25 Fuss Höhe***) und erschienen bis auf Schiefstehen
und hie und da durch den Wind verbogene Gipfel gesund. Die
beifolgende Scizze zeigt solche Lärchen der nördlichsten Baumgrenze,
davor das fast mannshohe Erlendickicht, als äussersten Saum Zwerg*)
■ Das eine stellte eine Art Wiegenpferd ans Messing dar nnd schien ebenfalls
sehr alt, wie die beiden anderen, welche in rohem Knpferguss, das eine einen
Heiter mit Bogen und Pfeil, das andere einen gekrönten Beiter mit Scepter darstellten;
sie schienen mir altnordischen Ursprungs. Alterthumsfreunde werden,
wenigstens eins davon, im Königl. Museum zu Berlin finden.
**) Es blieb das einzige; wir hörten sonst nur noch ein paarmal Donner von
Perne (z. B. 8. August). Auch Süjew erwähnt die Seltenheit von Gewittern in
diesen Breiten (Pall. 3 p. 23); dagegen Hofmann (p. 20) die ungemeine Heftigkeit
derselben an der Westseite des Ural.
***) Dieselbe Erscheinung fanden wir, als wir von Norden her wiederum in die
Baumgrenze eintraten, und Hofmann bestätigt dasselbe für die Westseite des Ural.
Es zeigen sich hier also ganz dieselben Verhältnisse wie im Altai, wo das
Ende des Baumwuchses ebenfalls noch stattliche Bäume zeigte.