sehen, aber sie blieben uns so fern, dass es- mir lieb war diese
„zahmen“ beschrieben und gezeichnet zu haben. Und in der That,
soweit man bei einem Kulan von Zähmung sprechen kann, waren
sie es. Obrist Russinoff, der Chef der Kirgbisen ist, batte die Thiere
ganz jung aus der Steppe Bekpak-Dala am Tschuflusse in Nord-
Turkestan erhalten und von einer jungen Falbenstute säugen lassen.
An die Letztere waren die beiden Wildlinge so gewöhnt, dass sie
mit ihr und anderen Pferden frei auf der Steppe weideten, und
obwol der Hengst schon 2 Jahre, die Stute sogar bereits 3 Jahre
alt war, suchten sie doch noch das Euter ihrer Pflegemutter.
Die Thiere wurden uns durch Kirghisen vorgeführt und zeigten sich
ziemlich willig, gaben aber doch Beweise ihrer Virtuosität im Ausschlagen,
wobei der Hengst hauptsächlich die Hinterfüsse, die Stute
die Vorderfüsse in Anwendung brachte. Aber die braven Kirghisen
verstanden es ebenso gut den Schlägen auszuweichen. Diese Kulans
waren in der That prächtige Thiere und hatten, wie erwähnt, in
ihrer Erscheinung mehr vom Pferde als vom Esel. Die Hauptfärbung
ist ein hübsches Gelbbraun; die Schnauze, die untere Hälfte
der Backen, des Halses und Bauches, ein Fleck vor dem Hinterschenkel,
sowie ein scharf begrenzter Spiegelfleck auf dem oberen
Theile der Keulen und die Beine sind weiss. Das Ohr ist schöner
geformt als heim Esel, aber länger als-heim Pferde; innen weiss,
mit schwarzgesäumter Spitze, der obere Rand der Hufe hat ebenfalls
einen schwarzen Saum. Die huschige, aufrechtstehende Mähne,
welche sich vom Hinterkopf bis zum Widerrist erstreckt ist schwarz,
wie der jederseits weiss gesäumte Rückenlängsstreif, der sich verschmälert
über den Schwanz herabzieht, welcher in eine aus steifen
Haaren gebildete Quaste endet, die bis zum Hackengelenk herabreicht.
Die Thiere trugen bereits das sehr kurzhaarige Sommerkleid;
im Winter sind sie mit einem weit längeren, fast zottigen Pelze
bekleidet. Da sich hei dem unzuverlässigen Wesen der Thiere nicht
wol Messungen ausführen liessen, so gebe ich die Maasse eines alten
männlichen Kulan, welches ich später in Saissan erhielt, um das
naturhistorische Bild dieses interessanten Steppenbewohners zu vervollständigen.
Ganze Länge von der Nasenspitze bis zum Ende der längsten
Schwanzhaare: 10 Fuss; Schulterhöhe 3' 10"; Kreuzhöhe 3' 11V2";
Kopflänge vom Nasenloch bis zum vorderen Ohrrande 1' 8'/2"i
Länge des Ohrs von der hinteren Basis bis Spitze 73/4"; Kopflänge
von Nasenspitze bis Hinterkopf 2'; Halslänge vom Hinterkopf bis
Schulterhöhe 1' 9'/2"; Rückenlänge von der Schultermitte bis zur
Schwanzwurzel 3' 9l/2"; Schwanzlänge der Rübe 1 ' 3‘/2"; Ganze
Schwanzlänge bis Ende der Haarquaste 2' 772"; längstes Schwanzhaar
1' 4"; längste Mähnenhaare 53/4"; Höhe des Hufes vorderseits
23/4", hinterseits 1
Herr Obrist Russinoff hatte die Güte der Expedition die beiden
seltenen Thiere zum Geschenk anzubieten, doch mussten wir dasselbe
in Anbetracht unserer noch bevorstehenden weiten Reise leider
dankend ablehnen. Ich unterliess es indess nicht das interessante
Thierpaar, welches alle Aussicht auf Fortpflanzung bot, einem
deutschen Thiergarten zuzuwenden und Obrist Russinoff war auch
gern bereit dasselbe dem Berliner zu schenken, wenn derselbe die
Transportkosten übernehmen wolle. Ich beeilte mich daher sogleich
in Berlin anzufragen, erhielt aber, ebensowenig als der Obrist, irgend
einen Bescheid(!), wie ich später erfuhr aus dem Grunde, weil der
Garten bereits einen Kulan besass.
Neben den Genüssen und Freuden des geselligen Verkehrs und
der Belehrung durch Wort und Anschauung, galt es aber auch
practische Angelegenheiten zu erledigen, vor allen Dingen mussten
Tarantassen zur Weiterreise besorgt werden, was nicht so leicht war
als es schien. Denn wir hatten schon mit Tjumen die grosse Linie
der sogenannten „freien Post,“ welche einem Generalpächter übergeben
ist, verlassen und traten in andere Verhältnisse ein. Von
Nishnej an ist das Fortkommen nämlich sehr bequem gemacht.
Man muss für die grössern Zwischenstrecken Nishnej, Kasan, Perm,
Jekaterinenburg, Tjumen das ganze Fahrgeld am Ausgangspunkte
entrichten und bedarf keines kaiserlichen Postfahrscheines, einer
sogenannten Podoroschna, die seit 1874 im ganzen europäischen
Russland überhaupt abgeschafft ist.- Von Nishnej bis Tjumen werden
für das Pferd pro Werst 4 Kopeken, für den Wagen ebensoviel erhoben.
Man bekommt einen quittirten Schein hierüber, der die
näheren Bestimmungen enthält, sowie die Stationen, auf welchen
¡der Posthalter Ankunfts- und Abgangszeit eintragen muss. Für
¡die in Kronsangelegenheiten Reisenden sind die Formulare der Post-
JQuittungen mit rother Dinte ausgeschrieben, zum Zeichen, dass die
■Inhaber derselben in der Beförderung anderen vorgehen. Es ist
plso scheinbar Alles sehr schön geordnet, denn sogar die Stationen
pmd aufgeführt, wo die Wagen geschmiert werden müssen und in
I F i n s c h , Reise, i