östliche Seeadler (Haliaetus leucoryplius). Im Ganzen zeigten sich
die Raubvögel weit weniger scheu als sonst. So liess ein Bussard
wiederholt auf sich zielen, obwol er hoch vom Baumeswipfel wiederholt
auf den Jäger herabäugte. Und es erfordert doch immer ziemliche
Zeit ehe ein Kirghise zum Schuss fertig ist. Unser Mann, der vor
aller Augen eine Probe seiner Kunst ablegen wollte, pürschte sich
natürlich zu Pferd an, und stieg erst ab als das letztere im Dickicht
nicht mehr weiter zu kommen vermochte. Dann verging natürlich
wieder eine, nach unseren Begriffen, viel zu lange Zeit ehe der Mann
die Gabel aufgestellt hatte, auf der das Gewehr ruht, und abkam.
Aber bei dem constanten Regen war es nicht zu verwundern, dass
das Pulver auf der Pfanne nassgeworden und versagte. Der brave
Schütze liess sich aber die Mühe nicht verdriessen, immer wieder
frisches Kraut aufzuschütten, bis endlich beim sechsten- Versuche
der Schuss los — aber ins Blaue krachte. Da gab es natürlich
von allen. Seiten Spott und Gelächter. Dies verdross den Schützen
so, dass er verschwand und sich erst gegen Abend im Lager zeigte,
diesmal triumphirend, denn er kam nicht mit leeren Händen: eine
grosse Lachsforelle war seiner Kugel erlegen! Ich sage Kugel!
drücke mich dabei aber nicht ganz richtig aus. Denn schon das
Gewehr eines Kirghisen ist kein solches nach unseren Begriffen,
noch viel weniger aber das Geschoss. Hat er das Erstere bis auf
den Lauf und das rohe Schloss grösstentheils selbst verfertigt,
wenigstens sehr häufig doch zusammengesetzt,, so ist er noch mehr
der Fabrikant der Munition. Freilich sind die von ihm gebrauchten
„Kugeln“ meist nichts anderes als ein Stück Eisendraht, über welches
Blei geschlagen wird und das Pulver steht damit vollkommen im
Einklang. Mit Rücksicht auf diese Primitivität der Waffen müssen
die Kirghisen, wie ich schon früher anführte, als treffliche Schützen
bezeichnet werden.
Gegen Mittag erreichten wir ein weites Wiesenplateau und mit
ihm die nordwestliche Ecke des Sees, von dem wir auf immer schieden.
Die schöne Alpenwiese bildete eine .Sommerweide der Kirghisen,
welche dieselbe bereits bezogen hatten. Wenigstens zeigten sich
verschiedene Jurten und beträchtliche Heerden, darunter auch Kameele.
Es galt nun wieder bergauf zu klettern und zwar im Thale oder
der Schlucht des kleinen Tschulikflusses, ganz in ähnlicher Weise
als beim Anfang der Gebirgsreise am Kuldschelik. Der Pfad war
wie damals ein sogenannter „Koi-Dschol“, d. h ., eigentlich nur für
Schafe geeignet. Es boten sich also alle jene bereits erwähnten
Schwierigkeiten in vollem Maasse, aber die Gegend war wilder,
romantischer, alpen artiger. Ringsum erhoben sich theils mit altem, .
theils mit neuem Schnee bekleidete mächtige Kuppen, sargförmige
Rücken, ein zuckerhutähnlicher Pik. Es waren die zum System des
Dschedi-Kesén, d. h. der sieben Pässe gehörigen Gebirge, die über
die Holzgrenze hinausragen. Es zeigte sich dabei wiederum die
eigenthümliche Erscheinung, welche schon Ledebour*) und Bunge
erwähnen, dass der äusserste Baumwuchs nicht in einen allmälig
zwerghafter und krüppeliger werdenden übergeht, sondern aus Lärchen,
von °60—70 Fuss Höhe, besteht, die allerdings durch Wind und
Wetter meist etwas schief gedrückt, oder grössstentheils: ihrer Aeste
beraubt wurden, und von denen bereits manche am Boden' modern.
Auffallend ist das gänzliche Fehlen der Krummholzkiefer (Pinus
punmilio).
Ich vergass bisher die Waldungen zu schildern, ziehe es aber
vor Brehm über: dieselben sprechen zu lassen, muss aber bemerken,
dass seiner wie immer äusserst lebendigen Darstellung der Urwald
am Marka-See zu Grunde liegt, also von mir hier nicht ganz an der
richtigen Stelle gebracht wird.
„Vergeblich sucht man in das Innere eines solchen Waldes einzudringen,
Auf den. Gehängen der Berge hemmen Halden und
Dickichte, im Kesselthale Sümpfe und Brüche den Fuss. Mächtige
Trümmermassen, wirr durcheinander geworfene und gerollte riesige
Blöcke und Steine decken auf weithin den Boden; Flechten überspinnen,
Moose überwuchern sie und verhüllen trügerisch die zahllosen
Spalten und Löcher zwischen den Steinen* selbst zwischen den
Blöcken; junger Aufschlag strebt überall dazwischen hervor und
*) Siehe p. 113, 160, 257, 348 und 350 (über Holz- und Schneegrenze)
Ledebour fand in den Gebirgen des Korgon und Koksu noch bei 5224 Kuss völlig
gesunde Arven (Pinus cembra), bei 5692' solche von 13*/a' Umfang; die höchsten
bei ’6541' Höhe. Diè Arve geht’ daher unter allen Nadelhölzern am höchsten ist
aber bei Weitem nicht so häufig als die Lärche (Larix sibirica), welche bis 5500'
steigt.. Nicht ganz so hoch (bis 4000') geht die Ficht« (Picea vulgaris var. altaica),
und die Panne (Abies sibirica), welche.über der Kiefer, nicht unter 2500' beginnt.
Teplouchow (in Cotta’s Altai p. 291) giebt über diese Verhältnisse interessante
Notizen,' wenn er aber (p. 292) sagt: Lärche und Zirbelkiefer bilden grösstentheils
krumme hin- und' hergebogene Stämme, die off bis zur Erdé daniedergedrückt
sind“ , so hat dies wol nur auf die von ihm besuchten Theile des nordwestlichen
Altai Bezug.