den Mangel chaotisch aufgehäufter Geröllhalden. Die Tundra Lapplands
ist in erster Linie aus Moos gebildet, hier herrscht die Zwergbirke*)
vor. Sie bedeckt über Moosen, durch die der Fuss in den
feuchten Untergrund einsinkt, die weiten flachen Höhenzüge sanfter
Hügelketten, welche auf ihrem Rücken Gerölle aus kleinen Steinen
und Flechten tragen, oder an manchen Stellen dünenartige Sand-
knppen bilden.
Die kleinen Steine der Hügelgerölle sind mit grauen Flechten
überzogen, übrigens meist eckig und kantig, so dass Graf Waldburg
ihren Ursprung auf glaciale Ablagerungen zurückführt und annimmt,
dass sich die Gletscher**) des Ural einstmals bis hierher ausdehnten.
Jedenfalls kann von Hebung früheren Meeresbodens nicht die Rede
sein, da wir nirgends nur eine Spur von Muscheln oder anderen
Meeresablagerungen finden. Dagegen trafen wir auf der Tour bis
zur Podarata wiederholt anstehendes Gestein und zwar Kalk, Diabas
und Quarzporphyr (letzteren an der Hügelkette Jangana-Pei.) Die
Thierwelt der Tundra ist äusserst spärlich, ja arm. Selten, dass
ein grösserer Teich oder See mehr als fünf Paar Trauer- oder Eis-
euten, oder mehr als zwei Paar Eistaucher (Colymbus glacialis) beherbergt.
Die letzteren führten jetzt Dunenjunge mit denen sie sich
stets tauchend und. schwimmend bis auf die Mitte des Wasserspiegels
retteten und hier unnahbar für die Gewehre blieben. Ihr Wamungs-
ruf »A-u, a-u« klingt fast melodisch gegenüber der Stimme der
Eisenten, die, an das Jammern eines Kindes, das umgebracht werden
soll, erinnernd, sehr häufig die unendliche Ruhe auf das unangenehmste
unterbricht. Dazu Töne, die dem Knarren eines schlecht
*) Wie schnell sich die Vegetation in diesen Breiten entwickelt beschreibt
v. Hoftnann (p. 122). „Der warme Kegen, der am 20. Juni während des Gewitters
reichlich fiel, brachte in unserer Umgebung eine feenhafte Veränderung hervor.
In einigen Stunden entfalteten sich an den Lärchenbäumen die neuen Nadeln und
überzogen die jungen Blätter der Betula nana den Boden mit einem grünen
Teppich.“
**) V, Hoftnann, der diese „aus kleinen, abgerundeten Gerollen1- bestehenden
Hügel der Tundra an der Westseite des Ural ebenfalls häufig fand, ist anderer
Meinung und nimmt an, dass sie durch Frühlingswasser von den Bergen herabgebracht
wurden. „Dass man es hier mit alten Gandecken zu thun habe, dafür
spricht kein anderes Zeichen, weder polirte noch geschrammte Oberfläche des
Bodens“ (Reise p. 131). Ueber die Geologie des nördlichen Ural vergl. die
speciellen Abschnitte in Hoftnann u. Schrenk (p. 1—81) ; sowie Prof. Barbot du
Mamy in Buss. Revue 1876. p. 236.
geschmierten Schubkarrenrades ähneln, das melancholische, langgezogene
»tü-üt«, des Goldregenpfeifers (Charadrius auratus), welchen
man fast zu jeder Tagesstunde hört; miauendes „pi-au, mi-au“ des
hoch in den Lüften schwebenden Rauhfussbussards (Buteo lagopus)
oder der tief schnarrende Ruf „ ärrr-räk-äk-äk-äk “ des aufgescheuchten
Schneehahnes (Lagopus albus), das sind die Stimmen,
welche sich auf der Tundra hauptsächlich bemerklich machen und
so recht mit dieser Einöde im Einklang stehen. Gänse zeigten sich
nur gelegentlich und von Weitem; ebenso wurde nur selten eine
einzelne Möve (Larüs affinis) oder Seeschwalbe beobachtet. An den
Seeufern waren Zwerg- und Alpen-Strandläufer (Tringa minuta und
alpina) und Kampfhähne. (Machetes) die häufigsten Erscheinungen,
während in den Sumpfgebieten der bellende Ruf der pfeil-
schwänzigen Raubmöve (Lestris parasitica) sich hören liess, die hier,
wie ihre Verwandte, die breitschwänzige (L. pomarina) ihre Brutstätten
hatte und zu den Charakterformen der Tundra gehört. Sie
ist ein gar schöner Vogel, der im Fluge auffallend an den Edelfalken
erinnert, und dabei so zahm, dass sie sich oft auf kaum fünfzehn
Schritte nahe kommen lässt. Leider ist ihr Fleisch ungeniessbar,
und so mussten wir der geringen Vorräthe halber unsere Aufmerksamkeit
in erster Linie Goldregenpfeifern und Schneehühnern zuwenden,
die fast täglich unsern Kochtopf füllen halfen. Aeusserst
interessant war es den Haushalt der wenigen Raubvögel, welche die
Tundra beherbergt zu beobachten, in erster Linie also den Wanderfalken
(Falco peregrinus) und rauhfüssigen Bussard (Buteo lagopus),
In Ermangelung von Bäumen sassen die jungen Wanderfalken an
einen Stein angedrückt im hohen Grase, während die Bussarde
meist auf Zwergbirkensträuchlein aus dürren Birkenstengeln einen
grossen Horst errichtet hatten. Die mit dichten weissen Flaum
bekleideten Jungen, meist 3 bis 4 in einem Nest, hatten übrigens
nicht wenig von den Mücken zu leiden. Nicht allein dass Wachs-
haut und Mundwinkel dicht von solchen besetzt waren, sogar der
nackte Schienentheil der Hinterseite der Laufes war nicht vor ihnen
gesichert. Die jungen Vögel rächten sich übrigens, denn man sah
sie fortwährend schnappen, dabei Mücken erhaschen und verschlingen.
Besondere Fertigkeit besassen darin junge Raubmöven (Lestris),
welche sich bei unserer Annäherung meist ebenso geschickt leblos zu
stellen wussten als junge Bussarde. Nur die jungen Wanderfalken
erhoben gewöhnlich ein klägliches Geschrei, ebenso die alten Vögel,