in zwei zusammengebundenen kleinen Böten den Fluss hinab, etwa
17 Werst weit, gelangte aber wegen heftigen Windes und sehr
schlechten Wetters (Schnee und Regen) nicht bis ans Meer, wohin
es im Ganzen den Krümmungen nach gerechnet etwa 20 W. sein
mögen. Der Fluss windet sich sehr stark und verliert sich dann
ins Meer, welches sehr seicht ist. Rechts, da wo wir die beiden
Hügel als Ausfluss des Jensorjäha sahen, soll das Meer von Dünen
begrenzt, links ein felsiges Cap und eine Bucht als guter Hafenplatz
sein. Der Kosak, welcher die Renthiere holte, will von den Felsenhügeln,
wol Sadapai, das Meer, und sogar ein Schiff*) gesehen
haben. Die Samojeden behaupteten, dass auch im vorigen Jahre
ein Schiff hier gewesen sei, und wollen sogar ein Wrack kennen,
welches auf seichtem Grunde sitzend, nur im Winter erreicht werden
kann. Sie hatten damals die Schiffbrüchigen getroffen, welche kein
Russisch verstanden und einen Brief erhalten, den sie in Obdorsk
beim Sassjedatjelj ablieferten. Der letztere bestätigte diese Mittheilung
besass den Brief aber nicht mehr, sondern hatte ihn dem
Gouverneur von Tobolsk eingesandt. Aller Wahrscheinlichkeit dürfte
das Schiff eines jener norwegischen gewesen sein, welche zuweilen
des Fischfangs halber in den Kara-Meerbusen Vordringen.
Obwol wir diesem sehnlichsten Ziele unserer Reise so nahe
waren, mussten wir uns doch der Macht der Verhältnisse fügen und
die Umkehr beschliessen. Ohne ein Boot, und wegen Mangel an
Holz nicht im Stande ein Floss zu bauen, auf welches ich im Stillen
immer gehofft hatte, war es nicht möglich, den Fluss hinabzugehen,
und einer Fusswanderung geboten der Mangel genügender Provisionen,
sowie in ernstester Weise die Unpassirbarkeit des Gebiets
selbst Halt. Nicht einmal mit Ren würden wir, ohne grosse Umwege,
bis zu der ■ dünenartigen Sandwand gekommen sein. Sanda
erklärte dies für geradezu unmöglich, selbst wenn ich ihm hundert
Rubel! geben wollte und ich konnte es ihm in Anbetracht des vor
uns liegenden Todtenfeldes (an einer Stelle zählte ich allein 23 Ren-
thier-Cadaver) nicht verargen. So mussten wir denn umkehren!
Zum Andenken an den nördlichst von uns erreichten Punkt, ver-
muthlich unter 68° n. Br., nahm ich einen abgeplatteten, runden,
brodtförmigen, unten abgeschliffenen, c. 5" Durchmesser haltenden
*) Möglicher Weise war dies der D. „Themse,“ Capt. Wiggins, welcher um
jene Zeit in der Kara-Bai kreuzte und tief in dieselbe eindrang.
Sandstein*) mit, den mir der Ostiake, nach einigem Widerstreben,
schenkte. Er lag bei einem Opferplatze, der durch ein paar in die
Erde gesteckte rohe Holzstücke und Renthierschädel bezeichnet wurde
und bildete das grösste Heiligthum der Stätte, indem er den ver-
verehrten Gott Sisawei-pei, d. h. samojedisch „durchlöcherter Stein“,
vorstellte, in Anbetracht von 6 runden, wie mit dem Finger eingedrückten
Vertiefungen, von denen 4, bei lebhafter Phantasie allenfalls
als Augen, Mund und Nase gedeutet werden konnten. Solche
durch zufällige Aeusserlichkeiten ausgezeichnete Steine werden zuweilen
von Samojeden als Götzenbild benutzt und schon von Schrenk
(I. p. 360) sehr richtig beschrieben, der sich desshalb den Tadel
Castrens zuzog. Letzterer berühmte Forscher läugnet nämlich derartige
Idole aus Stein und zwar desshalb, weil „er nie ein solches
zu sehen bekam.“ Aber auch Middendorff (p. 1462) fand sie bei
den Samojeden im Taimyrlande nicht selten, die in Ermangelung
von etwas Besserem solche „Naturmerkwürdigkeiten“ gern zum
Götzen avanciren lassen. Ich darf übrigens hinzufügen, dass der
berühmte Götze, trotz der neuen Verhältnisse, sich auch mir bisher
äusserst nützlich erwiesen hat und zwar — als Briefbeschwerer!
Nachdem ich noch mit erstarrten Fingern eine Scizze dieser
unbeschreiblich öden Landschaft nordwärts aufgenommen, theilten
wir den letzten Rest der Feldflasche und wandten uns nun wiederum
dem Süden zu. Die empfindliche Kühle der Nacht, welche keine
Mücke aufkommen liess, da das Thermometer auf Nullgrad sank
und den ersten Reif brachte, war den Renthieren natürlich sehr
zuträglich und erleicherte ihnen das Ziehen. Dennoch ging die
Fahrt langsam, da wiederholt Renthiere zurückblieben, um nie
wieder die Heerde einzuholen und Sanda nebst seinem Sohne genug
zu thun hatten, die verwaisten Kälber zu fangen, todtzuschlagen
und abzuhäuten. Dabei half ihm Samüdoroff in bereitwilligster,
aber nicht uneigennütziger Weise, denn der jedem Syrjänen innewohnende
Handelstrieb konnte eine so gute Gelegenheit zu billigen
Einkäufen auf der Tundra nicht ungenutzt vorübergehen lassen.
*) Dieser feinkörnige Sandstein ist vermuthlich derselbe, welchen v. Hofmann
nahe dem Karischen Meere anstehend fand nnd der von den Eingehornen gern als
Wetz- und Schleifstein benutzt wird. Da letzterer nach Schrenk samojedisch
„silwa oder silyrtscham-pai“ heisst, so dürfte die oben gegebene Erklärung vielleicht
falsch sein.