obwol die Tura insofern sehr ungünstig ist, als nur im Frühjahr
bei Hochwasser Schiffe bis zur Stadt kommen können, im Uebrigen
aber bei dem Dorfe Artomonowska, 275 Werst unterhalb am Tobol
liegen bleiben müssen. Die günstige Lage gleicht diese Uebelstände
aber wiederum aus, denn einerseits hat der bedeutende Theetransit
von Tomsk seinen Weg über Tjumen zu nehmen, und andererseits
die Unzahl von Waaren, welche nach der berühmten Messe von
Irbit und von dort wieder zurückgeführt werden. In dieser kleinen
kaum 5000 Einwohner zählenden Stadt, welche nur 400 Werst von
Tjumen entfernt ist und von hier im Frühjahr per Dampfer in
2Vs Tag erreicht wird, findet im Monat Fehruar ein Jahrmarkt
statt, weleheran 10 —12,000 Fremde versammelt und nächst Nishnej-
Nowgorod der bedeutendste ist. Ende der dreissiger Jahre betrug
der Handelsumsatz bereits 10 Millionen Rubel und hat seit dieser
'Zeit sich beständig vergrössert, so dass im Jahre 1869 Waaren im
Werthe von 89,184,000 Rubel declarirt und davon für 37,524,000
Rubel verkauft wurden. Hauptartikel des Irbiter Marktes sind Roh-
producte, vor allem Häute (4 — 6 Millionen) und Pelzwerke (4 — 5
Millionen Rubel); aber auch Manufakturwaaren, namentlich Baumwollenfabrikate
nehmen einen bedeutenden Platz, im Werthe von
8 — io Millionen Rubel, ein. Der Messverkehr von Irbit scheint
noch nicht gehörig beschrieben worden zu sein, Ledebour’s Schilderung
vom Jahre 1826 ist höchst dürftig.
Ich hatte genug von den Merkwürdigkeiten Tjumen’s gesehen
und konnte __ mich für den folgenden Tag, ruhig zu Bett legen.
Freilich geschah dies nicht freiwillig, sondern in Folge der heftigen
Erkältung, welche ich mir auf den letzten zwei Stationen zugezogen
hatte und die mir ein tüchtiges Fieber eintrug, welches mich einen
Tag ans Bett. fesselte. Meine beiden Herren Gef arten konnten denselben
benutzen, um die erwähnte Buchdruckerei, welche einem
Herrn Wisotzky gehört, Wardrapper’s Maschinenfabrik, den Fischmarkt
und die ethnographisch-naturgesehichtliche Sammlung des
Lehrers Herrn Kanonikoff zu besichtigen. Dieser Herr scheint auf
seinen ausgedehnten Reisen in Sibirien ein reiches Material zusammengebracht
zu haben. Namentlich rühmt Graf Waldburg-Zeil
Kunstarbeiten der Tschuktschen aus fossilem Elfenbein. Die Expedition
verdankt Herrn Kanonikoff zwei Schädel aus Gräbern in der
Umgegend Tjumen’s, die wahrscheinlich wogulischen Ursprungs sind
und über die Prof. Virchow*) berichtete. Am zweiten Tage raffte
ich mich auf und trotz der Warnung des besorgten Arztes konnte
es (13. April früh 9 Uhr weiter) gehen, nachdem glücklich ein
Theil des Gepäckes (Patronen und Conserveu) nach Tomsk voraus-
expedirt war. Es war ein schöner sonniger Tag bei 8° unter Null,
aber die Bachstelze, welche fröhlich auf dem Eise umhertrippelte,
¡brachte uns den ersten Gruss aus dem Süden, dem wir nun zueilten,
[be'deitet von den Glückwünschen unseres Gastfreundes, von dem wir
[unter herzlichem Dank und auf „Wiedersehen“ schieden.
Die Strecke Tjuinen-Omsk, welche nun vor uns lag, beträgt
¡630 Werst. Man passirt auf ihr 26 Stationen (darunter 3 Städte),
¡die 14 bis 35 Werst (2 bis 5 deutsche Meilen) weit auseinander
[liegen. Ich schrieb damals an die Geographische Gesellschaft, „dass
[wir dieselbe in drei mal 24 Stunden zurücklegen könnten,“ aller-
[dings mit dem Zusatze „bei gutem Wege!“ Aber der letztere war
[bei jetzigen Witterungsverhältnissen weder zu erwarten noch zu
¡verlangen, und so mussten wir statt drei mal, mit sieben mal 24
■und noch 5 Stunden uns zufrieden geben, denn die ganze Tour war
[eben wieder so recht eine Reise mit Hindernissen. Dies zeigte sich
¡gleich schon am Anfänge, denn kaum 3 Werst hinter der ersten
[Station brach die Achse des Gepäckwagens, was die erste Stunde
Aufenthalt verursachte, der leider viele andere unvorhergesehene
[folgen sollten. Die Schwierigkeiten, welche der Fluss Pyschma zu
[machen beabsichtigte, wurden glücklicher Weise noch verhindert,
I indem man die bereits treibenden grossen Eisschollen mit Stricken
befestigt und mittelst Brettern einen Uebergang bewerkstelligt hatte.
¡ Dafür waren wir unserem Freunde Wassilij Constantinowitsch, dem
[Ispravnik, verpflichtet, der es sich nicht nehmen liess uns bis an
[die Grenze seines Kreises zu begleiten, wie er uns an derselben
[begrüsst hatte. Nach herzlichem Abschiede fuhren wir also allein
■weiter, aber nur bis zur nächsten Station, dem Dorfe Romanows-
Ikaja, wo uns der Ispravnik des Kreises Jalutorowsk, Alexeij Wassilje-
Iwitsch MefodjeiF, empfing, um uns dorthin zu geleiten. Es war
■inzwischen dunkel geworden, aber dennoch liess sich am Eingang
Bes Städtchens, welches wir gegen 872 Uhr Abends erreichten, ein
pleiter erblicken, der uns erwartete, um dem Kutscher den Weg
V „Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte,“
¡Sitzung vom 21. Juli 1877, p. 67 und 69.