siedler schon längst wieder eingegangen waren. Und zwar deshalb,
weil deren Bewohner allmählich Anstellungen als Lehrer und Gouvernanten
der französischen Sprache gefunden hatten. — Unser
Saratower war übrigens nicht freiwillig hier, sondern Seitens seiner
Gemeinde nach Sibirien geschickt worden, wo es ihm nicht sonderlich
behagte, denn er meinte, es sei unmöglich hier mehr als 15 Kopeken
(kaum 40 Pfennig) täglich zu verdienen. Wahrscheinlich hatte er
aber, wie in der Heimath, keinen besonderen Trieb zur Thätigkeit
und gerade dieses Material von Faullenzern und Arbeitsscheuen,*)
welches Sibirien aufnehmen muss, schädigt das Land. Solche „zur
Ansiedelung“ Verbannte, die ohne alle Existenzmittel ankommen,
erhalten von der Regierung nichts als eben ein Dorf als Aufenthaltsort
angewiesen. Dasselbe hat ihnen ein gewisses Areal Land zu
überweisen; im Uebrigen müssen die Leute aber selbst sehen, wie
sie fertig werden. Und so muss der Fleissige und Besitzende für
den Faulen und Besitzlosen sorgen.
Ich will damit unserem braven Saratower übrigens kein Unrecht
thun, denn er kam pünktlich in der Früh’ des Ostersoünabends um
anzuzeigen, dass die Adlerhütten fertig und sehr schön seien. Davon
konnten wir uns indess nicht überzeugen, denn Angesichts der
vielen Enten, welche den Tobol belebten, waren die Jagdpläne inzwischen
geändert worden und die Anstandshütten blieben unbenutzt.
Der Saratower brachte übrigens noch einen Gefährten mit, der angeblich
„geholfen“ hatte und nun bei den „Excellenzen“ ein kleines
Trinkgeld einforderte, um dafür Lebensmittel zu kaufen, denn es
war grösser Markttag. Der Begleiter sprach ebenfalls Deutsch und
erzählte unter Thränen, dass er von Geburt ein Edelmann aus Esth-
land, wegen Urkundenfälschung aber auf 5 Jahre nach Sibirien verwiesen
sei. Jalutorowsk, (1641 gegründet) steht wie so manche
andere Stadt auf den Trümmern einer ehemaligen tatarischen, von
der Gmelin noch Reste sah (1741). Der Ort war damals Festung
und hiess gewöhnlich Batsehamskaja. Die Stadt macht gegenwärtig
*) Graf v. Waldburg-Zeil schreibt mir hierüber: „Gerade der Kreis Jalutorowsk
ist es, dem die meisten Vagabunden zugewiesen werden, weil man annimmt, dass
die wohlhabenden Dörfer desselben am leichtesten Mittel zur Weiterexistenz
gewähren. So werden die durch ihre Bodenbeschaffenheit besonders reichen Kreise
Jalutorowsk, Ischim, Tjumen ebenso sehr durch notorische Faullenzer als Verbrecher
geschädigt und würden sich ohne diese octroirten schlechten Elemente jedenfalls
bei weitem vortheilhafter entwickeln können.“
Lit seinen 2 stattlichen Kirchen, einem Feuerthurme und seinen
ielen grossen Holzhäusern einen freundlichen Eindruck. Die Strassen
ind wie immer sehr breit und haben zum Theil, ähnlich* wie in
Amerika, hölzerne Seitenwege, denn sonst würde in dem bodenlosen
Schmutze kaum fortzukommen sein. Die Stadt zählt über 4000 Ein-
jÄohner (3936. Petersb. Kal.) und treibt grosseu Getreide- und Mehl-
■landel, wie schon das viele angebaute Land in der Umgegend und
Blie Menge eigenthümlicher, auf einer Pyramide querliegender Baumstämme
errichteten Windmühlen andeuten. Im Jahre 1860 kostete
B l a s Pud Weizen 8 Kopeken, jetzt 40—50; zu Gmelin’s Zeit (1741)
sKas Pud Mehl allerdings nur 5— 8 Kopeken. Auch Kartoffeln
Biverden angebaut, aber nur in beschränktem Maasse, da sie bei der
^feevölkerung wenig Anklang finden. Der Kreis Jalutorowsk soll
■130,000 Einwohner haben, und enthält nur ein paar tatarische
■Dörfer. Ueber die Sicherheit wusste der Ispravnik kein glänzendes
■Bild zu entrollen und dachte über den Charakter der Verbannten
B Ir a n z anders als sein College in Tjumen. Nach ihm werden jährlich ^Täine Menge Todtschläge und Morde, davon die meisten von Ver-
lannten verübt, und kaum die Hälfte der Thäter sind erreichbar.
Merkwürdig ist, dass schon Gmelin Jalutorowsk als einen Ort
bezeichnet, in welchem es an Dieben und Müssiggängern nicht
mangelt. (Reise IV. p. 210.)
Auf dem Markte ging es sehr lebhaft her; mehrere hundert
■Bauernwagen hielten hier, auf denen Lebensmittel, Hausleinwand
Bund andere ländliche Erzeugnisse feilgehalten wurden. Fische
Bwaren in Anbetracht der vollendeten Fastenzeit ausverkauft. Span-
Bferkel, die als Osterimbiss nicht fehlen dürfen, kosteten 20 bis 25 1 Kopeken. —
Hatte dim hohe Jagd wenig ergeben, denn Dr. Brehm kam
^ebenfalls nur mit ein paar Möven und Raben heim, so war meine
^Kammerjäger ei ausgiebiger. Durch einen Frostballen am Gehen
»Behindert, beschäftigte ich mich im Hause nützlich und hatte es
^»am entlieh auf „Tarakaqs“ abgesehen. Diese bei uns unter dem
^Barnen Schwaben, Russen u. s. w., in Russland als „Preussen“
«kannten Orthopteren beleben in oft unglaublicher Menge, man
« anrL dreist sägen, jedes Haus und Zimmer in Sibirien. Es ist die
«leine, gelbbräunliche Art (Blatta germanica),' die durch ihr munteres
^Beseu und ihre- uugemeine Behendigkeit im Laufen an Decken
ijnd Wänden, so viel Spass macht, und ausser den Schaden, welchen