Anstalten nicht näher eingehe, denn das Urtheil eines Laien kann
ja doch nur gleichgültig sein.
Obwol wir bereits yor 5 Tagen in Jalutorowsk das Osterfest
mit begangen hatten, so fanden wir hier noch Alles im Feierkleid
und feiernd, d. h. die Geschäfte, selbst die Läden waren geschlossen
und es gelang mir nur mit Mühe ein Paar Stiefeln zu kaufen. Ganz
besonders musste dem Fremdlinge das von Früh bis Abend ununterbrochene
Glockengebimmel auffallen, denn ein eigentliches, feierliches
Läuten kennt män in Russland nicht. Während der Osterzeit herrscht
nämlich hier die Sitte, dass Jeder gegen ein Trinkgeld an den Küster
läuten darf und von dieser Freiheit wird natürlich in umfassender
Weise Gebrauch gemacht. Im Uebrigen war auch sonst für Volksbelustigung
durch Schaukeln,-Karoussels u. s. w. gesorgt. Wir besuchten
sogar eine Bretterbude, in welcher eine Art Kasperle-Theater
aufgeführt wurde, verliessen dasselbe aber bald wieder, da wir von
dem offenbar sehr humoristischen Vortrage doch nichts verstanden,
als dass auch der russische Kasperle wie hei uns als ultimo ratio
Alles prügelt und todtschlägt. Trotz der herrschenden Fröhlichkeit
wunderte ich mich im Ganzen wenig Betrunkene zu sehen, wie ich
überhaupt gestehen muss, dass mir dieses Laster viel weniger aufgefallen
ist, als in Holland, England und Amerika. Ich will damit
indess keineswegs die allzugrosse Nüchternheit des Sibiriers behaupten,
aber jedenfalls haben sich die Verhältnisse seit Gmelins Zeit (1736)
wesentlich gebessert, der die zügellosen Ausschweifungen so oft
schildert, am kräftigsten wol in der folgenden Darstellung (Reise
II. p. 173): „Gewiss, es scheint, als wenn dergleichen Feiertage
mehr dem Teufel, als GOtt gewidmet seyn, und diese Aufführung
dienet den häufigen Heiden dieser Gegend zu keinem guten Exempel
da sie sehen, dass das höchste Gut der Sibiriaken im Sauffen besteht.
Das Sauffen aber, womit die Leute in diesen Tagen vor ändern besessen
sind, bestehet nicht darin, dass sie sich nur etwa des Abends
voll sauffen. Kein Sterndeuter würde ihnen eine glückliche Stunde
sagen können, darin sie nicht saufen dürften, denn eine Stunde ist
ihnen wie die andere. Mit dem Christtage findet sich ein an-
steckendes hitziges Fieber bei ihnen ein, bei welchem schon im
ändern und dritten Tage die Leute zu rasen anfangen; • und die
Krankheit bricht sich endlich den vierzehnten Tag durch eine ungemeine
Raserei. Sie erholen sich zwar wieder davon', allein erst in
5 bis 6 Wochen. Sie bekommen nämlich die Woche vor den
vierzigtägigen Fasten einen neuen Anstoss davon mit der. grössten
Raserei, wovon sie sich doch in 8 Tagen wieder hergestellt befinden.
In dem Frühjahre und allezeit mit dem Ostertage kommt diese
Krankheit ordentlich wieder, nur dass sie wegen der grossen vorhergegangenen
Fasten etwas bösartiger ist und sich deswegen auch
früher, nämlich in dem siebenten Tage endiget! Und gleichwie
Leute, welche eine schwere Krankheit ausgestanden haben, lange
Zeit gebrauchen, um sich wieder zu erholen, also geht es auch hier.
Es hält schwer, dass sie wieder in ihre vorige Lebensart kommen,
welche darin besteht, dass sie sich etwa nur alle 4 Tage vollsaufen.
Denn die Krankheit stellet sich sehr oft mit frischer Heftigkeit ein,
worin sie 8 Tage in einem fort sauffen, und ich finde gar, dass
dieses eine neue Art von hitzigem Fieber ist, welche, wie die fallende
Sucht beständig ihre Anfälle hat und sich nicht eher als mit dem
Leben endigt.“
Der Herr Gouverneur hatte nicht so Unrecht als er humoristisch
! meinte, er könne uns in Omsk leider keine anderen Sehens Würdigkeiten
als 2 Wildpferde und die Kosaken*) zeigen, denn wenigstens
die Letzteren boten für uns in der That ein ebenso neues als überraschendes
Schauspiel. Die einzelnen Specimina, welche wir bisher
von Kosaken als Ordonanzen bei Ispravniks u. s. w. sahen, hatten
gerade keinen unvortheilhaften Eindruck gemacht, aber sie konnten
nicht entfernt eine Ahnung von dem imposanten Anblicke aufkommen
lassen, welchen die zur Parade aufgestellte Sotnie (Schwadron)
gewährte, zu der uns der Gouverneur am Sonntag, den 5. April,
eingeladen hatte. Das waren ganz andere Kosaken, als wie sie sich
unsere Vorstellung nach den Erzählungen o o unserer Väter und Abbildungen
aus dem Jahre 1813 gebildet hatten; in stramm militärischer
Haltung hielt hier ein Reitertrupp, wie man ihn sich stattlicher
[nicht denken konnte. Freilich waren es Elitetruppen, nämlich die
i Lehrschwadron sibirischer Kosaken, **) durch welche Instructeure für
*) Ich behalte die bei uns eingebürgerte Schreibweise bei, doch muss
[eigentlich, wie bei so vielen russischen Wörtern das o der ersten Silbe als a ausgesprochen
werden, also nicht „Kosak“ sondern „Kassak.“
**) Das s ib ir is c h e Kosakenheèr besteht im Kriege aus 9 Reiter-Regimentern
pu 6 Sotnien, von denen 1876.77 3 in Westsibirien und Turkestan einberufen
raren. Im Frieden stellt es Trnppentheüe und Kommandos (Lehrsotnien) auf. —
[Das Ssemirätschinsk’sche Heer stellt 2 Reiter-Regimenter. — Die Infanterie Kosaken-
Eommandos von Bereosow, Surgut und Narym besorgen in den betreffenden Städten