sie an Esswaaren, namentlich süssen, anrichtet, durchaus harmlos
ist. Wie alle Blatten ist auch diese ein Nachtthier, welches mit
Eintritt der Dämmerung die Schlupfwinkel, welche besonders in der
Nähe des Ofens liegen, verlässt, um auf Raub auszugehen.
Als unsere Wirthstochter daher am Abend die Lampen vor
den Heiligenbildern anzündete, konnte ich meine Jagd beginnen,
um die Insectensammlung zu bereichern. Die Sache war eben nicht
schwer, und hätte man alle Kerbthiere so leicht fangen können
als diese Tarakans, so wären jedenfalls alle meine Schachteln und
Kisten gefüllt worden. Die Thierchen scheinen sich übrigens von
West nach Ost verbreitet zu haben, denn Gmelin bemerkt mit
Genugthuung, dass es in Tara und weiter den Irtisch hinauf keine
giebt, dpch vermuthet Pallas das Gegentheil. (II. 543.)
Der Aufenthalt, welchen uns das Eis des Tobol verursacht
hatte gab uns Gelegenheit, wenigstens einmal einem Gottesdienste
beizuwohnen und zwar dem prächtigsten, welchen die orthodoxe
Kirche besitzt, dem des ersten Ostertages. Der Ispravnik Hess uns
eben nach Mitternacht (16. April) in Droschkis abholen und unter
seinem Vorantritt betraten wir die schön erleuchtete und mit grünen
Reisern geschmückte Kirche, wo uns Ehrenplätze unmittelbar vor
dem Hauptaltar angewiesen waren. Das Gotteshaus stand dicht
gedrängt voll Andächtiger, Jeder mit einer grösseren oder kleineren
angezündeten Wachskerze in der Hand, mit der auch wir uns versehen
hatten. Die Ceremonien der orthodoxen Kirche waren mir
schon von Bulgarien her bekannt, aber man sieht einem solchen
Gottesdienste mit seinem Prunke immer noch einmal gern zu.
Namentlich imponiren die Popen in ihren reichen Gewändern, den
langen Bärten und Haupthaare, welche ihnen ein besonders ehrwürdiges,
an alte Kirchenväter erinnerndes Aussehen verleihen. —
Aber nicht blos die Männer des Glaubens und die Männer überhaupt
erregten unser Interesse, auch das in grösser Anzahl versammelte
schöne Geschlecht, im reichsten Staate, darunter viele bereits „au
printemps“ in Strohhüte und Blumen gekleidet, fand in gebührender
Weise unsere Anerkennung. Man sieht in Sibirien kaum Schönheiten,
aber sehr viele hübsche Gesichter und in Gesundheit und
Fülle strotzende Gestalten.
Da der Gottesdienst keine Predigt enthält, sondern nur in
Gebeten besteht, die noch dazu in altslavischer Sprache, welche das
russische Volk auch nicht versteht, vprgetragen werden, so wirkt
es sehr ermüdend anderthalb Stunden lang stehend die fortwährenden
anscheinenden Wiederholungen der Ceremonien anhören zu müssen.
Wir waren daher ganz zufrieden als das letzte „Gospodin, gospodin
pumilo,“ (Herr, Herr, erbarme dich unserer) und das letzte „Ckristos
voskrest“ (Christus ist erstanden) erschallte, und der Chor und die
Gemeinde mit dem letzten „vo’istinno voskrest“ (er ist wahrhaftig
erstanden) einfiel. Der erste Pope gab hierauf dem Ispravnik und
einigen anderen Honoratioren einen Kuss, den Uebrigen ein grosses
goldenes Kreuz zu küssen und unter fortwährenden Kreuzschlagen,
welches bisher schon den grössten Theil des Gottesdienstes ausgefüllt
hatte, verliess die Gemeinde eiligst die Kirche.
Wie die grosse 40tägige Fastenzeit vor Ostern, durch eine
Woche der Fröhlichkeit und der Volksfeste eingeweiht wird, die
sogenannte „Butterwoche,11 Masleniza, welches Wort aber ebenso
gut mit Wagenschmier- oder Fettwoche übersetzt werden könnte,
da für alle diese Fettbezeichnungen im Russischen nur ein Wort
existirt, so werden die Ostern selbst durch mehrtägige Festlichkeiten
gefeiert. Vor allen Dingen gilt es wieder dem Körper sein Recht
zu verschaffen, denn die Fasten der orthodoxen Kirche sind sehr
streng und erlauben weder Fleisch noch thierisches Fett, sondern
nur in Oel zubereitete Fische. Ich darf aber sagen, dass es in
grossen Häusern nicht so streng genommen wird und man in grossen
Hotels durchaus keinen Abbruch in gastronomischen Genüssen zu
erleiden hat. »
Unmittelbar von der Kirche eilt man also nach Haus, wo eine
wohlbesetzte Tafel, bedeckt mit allerlei kräftigen kalten Speisen,
als Spanferkel, Braten, Caviar, Fisch, hartgekochten Eiern, Kuchen
aus Käse, Waffeln etc., bereit steht, und durch die zierliche und
sinnige Auschmückung noch besonders einladet, wenn dies überhaupt
noch nöthig wäre. Auch wir Hessen uns nicht lange nöthigen, als
uns der Ispravnik zu seinem reichen Osterimbiss invitirte und thaten
ihm alle Ehre an, obwohl es früh 2 Uhr war; und dass dabei die
Flaschen mit Schnaps, Cherry und Nalifka nicht unbeachtet blieben,
versteht sich ganz von selbst,
An Schlaf war daher wenig zu denken, denn schon um 4 Uhr
standen die Tarantassen zur Weiterreise bereit, und um 6 Uhr ging
es glücklich fort. Diesmal auf Nimmerwiedersehen, denn der Tobol
erwies sich gnädiger als das erste Mal. Freilich war der Eisgang
noch nicht beendet, aber man wartete bis ein grosses Feld Eis