nach unserem Quartiere anzuweisen. Da es in Ja,lutorowsk kein
Hotel giebt, so waren wir in dem stattlichen Hause eines Bürgers
untergebracht worden. Hier mnssten wir nicht nur den Tag, sondern
auch unseren braven Iwan erwarten, der wiederum mit dem Gepäckwagen
Malheur gehabt hatte und erst gegen Mittag (14. April) eintraf.
Graf Waldburg und Dr. Brehm fuhren inzwischen voraus,
um unter Führung eines wackeren pensionirten Majors zu jagen,
und zwar auf Waldschnepfen. Freilich war es bereits Charfreitag,
dazu noch russischer, d. h. 12 Tage später, also nach' unserem Style
bereits über Quasimodogeniti hinaus, von dem der alte Jagdspruch
sagt: „geh’, Jäger geh! jetzt brüten sie!“ (nämlich die Waldschnepfen),
aber wir befanden uns eben in Sibirien und unter
anderen Verhältnissen. Als ich jedoch mit den Tarantassen nachkam,
um die Jäger am Tobol in Empfang zu nehmen, fand sich der
deutsche Jagdvers auch in Sibirien bewahrheitet: keine Waldschnepfe
war gesehen worden! und die Jagdausbeute bestand nur in ein Paar
Raben, einem Staare und einem weissen Hasen (Lepus vanabilis).
Die Aussichten des Tobol-Ueberganges waren keine günstigen.
Zwar stand der ziemlich breite Fluss noch mit Eis, aber am anderen
Ufer zeigte sich bereits ein Streif offenen Wassers und, was mehr
bedenklich war, die von Omsk kommende Post wurde von demselben
zum Stillliegen gezwungen. Dennoch sollte die Sache versucht
werden. Kräftige Arme schoben die erste Tarantass mittelst Brettern
auf die Eisdecke, aber kaum hatte ein Rad dieselbe berührt und es
sank bis an die Achse ein. Da musste denn rüstig gearbeitet werden
um den Wagen heraus und wieder an’s Ufer zu arbeiten, und kaum
war dies geschehen, als sich die Masse des Eises langsam in Bewegung
setzte. Wir sahen dem Treiben der Schollen eine Weile zu, aber
ebenso bald ein, dass hier nichts als Rückkehr übrig blieb und
trafen gegen Abend wieder bei unserem Wirth in Jalutorowsk ein,
der darüber keineswegs erfreut schien, denn das Osterfest stand
vor der Thür und dazu brauchte er seine besten Zimmer, die wir
einnahmen, selbst. Aber das war nun eben nicht zu ändern und
er hielt sich auch redlich an der Zeche schadlos, die für 2 Tage
und 3 Nächte über 20 Rubel, also so viel als in einem ersten
Hotel betrug. —. ,
Um den Ostersonnabend nützlich auszufüllen wurde mit Jagen
und Sammeln fortgefahren. Graf Waldburg machte mit dem Is-
pravnik einen Ausflug um Birkhühner zu schiessen, brachte, aber
statt dieses erwünschten Wildprettes nur ein paar Kibitze und Wachholderdrosseln
heim, Dr. Brehm hatte Hütten zum Anstande auf
Adler bauen lassen, die im nahen Walde bei einem todten Pferde
[zu erscheinen pflegten. Ein biederer Bauer aus dem Dorfe am
ITobol, wo wir Tags zuvor den Uebergang versuchten, hatte sich
[freiwillig zu diesem Geschäfte erboten, und sich sehr unerwartet
[als des Deutschen kundig entpuppt. Am Tobol befand sich nämlich
leine grosse Hütte, nicht aus Stroh, sondern aus unausgedroschenen
■Garben errichtet, die mich lebhaft an eine lange, lange Wegestrecke
|vor Kamyschlow erinnerte, welche als Schutzwehr gegen Schnee-
■wehen aus dicht an einander gestellten Bündeln guten Strohes
■bestand, ein Beweis, welchen geringen Werth dieses Material m
■Sibirien haben muss. An besagter Garbenhütte lagerten wir einige
Zeit, mit Theetrinken beschäftigt, wobei uns eine Menge Landbewohner
mit Interesse zusahen und dabei unseren Gesprächen
■lauschten, gleichsam als verstünden sie die fremden Zungen. Und
■wenigstens Einer that dies auch, denn auf die Frage des Grafen
■an unseren Martin Bzerwit „wann fischt man hier?“ ertönte plötzlich
feine Stimme:'„in der Früh’ und Obends!“ Da gab es also einen
1 Landsmann; aber das Aeussere des dienstfertigen Antwortgebers
[entsprach dem wenig, sondern glich ganz dem eines russischen
[Muschik. Freilich hatte der Mann Deutschland nie gesehen, aber
[e r stammte aus einem jener Dörfer im Gouvernement Saratow, die
| unter der Kaiserin Catharina II. (1763) mit deutschen, .meist schwä-
| bischen Einwohnern besiedelt; noch heut” treu an ihrer Mutter- I spräche halten. Nördlich von der Stadt Kamyschin giebt es über
J dreihundert solcher deutschen Colonien*) aus dem Jahre 1760, von
I deren Bewohnern wir sogar dies Jahr (1877)**) viele - hier in
■ Bremen sahen, denn sie wanderten zu Hunderten nach Brasilien aus.
■ Eine merkwürdige Erscheinung wird von Professor Hansteen, der
■ dieses Gebiet 1830 bereiste, mitgetheilt, nämlich die Thatsache,
jdass die damals gleichzeitig gegründeten Dörfer französischer An-
*) Ausführliches über [dieselben [bei Pallas (Eeise III. p. 6 0 8 - 624 nebst
Karte). — "Vergl. auch G. Rose: Reise ü . p. 247—253.
**) Ich sprach einen Dorfältesten, der mir als Hauptgrund für die Auswanderung
angah, „dass die Winter zu lang und kalt seien !*• Jedenfalls wurden
[aber die Leirte durch Agenten verführt und haben ihre Thorheit schwer büssen
jniSsf.en, denn es ging ibtien in Brasilien so schlecht, dass Alle, welche es vermochten,
[wieder heimkehrten.