Rubus ehainaemoros), die übrigens nocb sauer und unreif war,
während Rausch- und Moosbeere*) bereits genossen werden konnten.
Da sich mehrere der Fahrthiere wundgerieben hatten, die ganze
Heerde überhaupt der Ruhe bedurfte, so beschloss Sanda, den folgenden
Tag Rasttag zu halten und wir mussten ihm wohl oder übel
folgen. Wir blieben also am 8. August liegen und ich hatte alle
Zeit im Stillen ein Familienfest (meinen Geburtstag) zu feiern, zu
dessen Ehre die letzte Cigarre angebrannt wurde. Zu jagen und
sammeln war doch unmöglich, da die Milliarden Mücken nicht erlaubten
den Rauch des Tschum zu verlassen. So ein Tag gewährt
übrigens gute G elegenheit, die Gebräuche der Ostiaken zu beobachten,
wie es mir überhaupt Zeit scheint der liebenswürdigen Familie unseres
Herbergsvaters Sanda zu gedenken. Ich erwähnte bereits, dass
Madame Sanda, die ihr Alter übrigens ebensowenig anzugeben
wusste als „ihr Alter“ , sich uns. im Ganzen wenig geneigt zeigte
und uns weit entfernt von Unterwürfigkeit eher mit einer vornehmen
Geringschätzung behandelte. Sie mochte die renthierlosen „Bondel-
looper“ nicht für voll ansehen und hatte von ihrem Standpunkte
aus Recht. Als Schwester von Iwan Taischin aus fürstlichem Ge-
blüte war sie wie dieser früher reich gewesen, bis die ganze Heerde
ihres Gemals erlegen war. In welchem Jahre dies geschehen wusste
sie, bei der allgemeinen Unwissenheit der Ostiaken in Zeitbestimmungen
und Rechnen, nicht anzugeben, erinnerte sich aber, dass ihr Sohn
damals so alt als das E n d der Wittwe gewesen war, es konnte also
10 bis 12 Jahre her sein. Dieser hoffnungsvolle Sohn, ein netter,
schwarzäugiger Bursche, von vielleicht 14 bis 15 Jahren, der eben
so gern ein Stückchen Zucker als Zeitungspapier zu Cigaretten annahm,
stieg in unserer Achtung, als wir hörten, dass er bereits Ehemann
sei. Das kleine, vielleicht zwölfjährige Mädchen, welches ich
bisher für seine Schwester gehalten hatte,' war seine Frau und ihm
im vorigen Jahre für zwanzig Ren gekauft worden. Und warum
sollte dieses Paar nicht einen Hausstand begründen? Yerstand
es doch Alles, was ein Ostiake wissen muss. Der junge Sanda wusste
mit Ren so gut umzugehen als sein Yater; er stellte bereits mit
Geschick Fallen und geberdete sich am Feuer, halbnackt im Pelz
*) Die hauptsächlichsten essbaren Beeren der Tundra sind nach Schrenk
(p. 543 u. 591), ausser der Moltebeere: die Alpenmoosbeere (Arctostaphylos alpina),
Wasserbeere (Empetrum nigrum), Strickheere (Vaccinium Yitis Idae) und Blaubeere
(Vaccinium uliginosum).
sitzend, wie ein Weiser seines Volkes. Und die kleine Frau! Gerbte
sie nicht Renfelle eben so gut als ihre Schwiegermutter? Half sie
ihr nicht beim Aufbau des Tschum? Spannte sie nicht die Ren ein
und bepackte die Schlitten? Kurzum, dem Paare fehlte um einen
eigenen Hausstand zu begründen nichts als Renthiere, ein Tschum
und — Kinder. Vorläufig waren sie noch Diener der Eltern, Frau
Sanda übrigens mit ihrer Schwiegertochter sehr zufrieden, die ihr
in allen Stücken fleissig und gehorsam half. Jung Sanda kümmerte
sich übrigens wenig, ich kann wol sagen, so gut als gar nicht um
sein Frauchen. Keines der erhaltenen Stückchen Zucker und Zwiebäcke
theilte er mit ihr, nie half er ihr die Ren einspannen oder
anschirren, Nur einmal warf er ihr ein Herz zu, es war aber nicht
das seine, sondern das eines eben geschlachteten Ren. Es fiel auf
den eben nicht reinen Erdboden, sie entriss es einigen herbeistürzenden
Hunden und gab es der Schwiegermutter, mit der sie es, blutig
und roh wie es war, verzehrte. Immerhin mochten sich die jungen
Leute lieben, aber wir konnten eben, wie dies immer der Fall ist,
nicht in die Herzen sehen und Mutter Sanda, die als gute Tschum-
mutter mit strenger Hand das Regiment führte, duldete keine
sentimentalen Schwärmereien.
Wie ich mich nicht erinnere das weibliche Geschlecht, sowol
bei Samojeden*) als Ostiaken jemals in wirklichem Müssiggange oder
Nichtsthun gesehen zu haben, so herrschte auch in Sanda’s Tschum-
wesen stete Emsigkeit. In derselben Weise mag das Leben unserer
Ur-Urahnen verflossen sein, lange, lange vorher ehe fleissige Ritterfrauen
und Edelfräuleins mit höchsteigener Hand an der Spindel
Faden drehten und grobes Hausleinen webten. Auch bei unseren
Altvorderen hatte das schöne Geschlecht offenbar mehr zu thun und
war im „Kampfe ums Dasein“ stärker mit Arbeit belastet, als dies
heutigen Tags der Fall ist.
Dass die feinere Küche ostiakische Damen nicht sehr drückt,
ist schon aus der Einfachheit der Lebensweise erklärlich. Es kann
sich ja überhaupt nie um mehr handeln als einen Kessel über das
Feuer zu setzen, was übrigens Jeder selbst besorgt, sobald es ihm
gelüstet. Fehlt ostiakischen Frauen aber auch die Küche, so ist
doch sonst Arbeit in Hülle und Fülle vorhanden und Frau Sanda
kam nur selten dazu ihrem Lieblingsfuchse ein halbes Stündchen
*) Auch Middendorff (p. 1423) hebt den unermüdlichen Pleiss und die Emsigkeit
samojedischer Frauen besonders hervor.