stück, welches ihm Niemand gelehrt hatte und das er stets wieder
ausführte, wenn ihn plötzliche Schwankungen des Schlittens von
seinem Stande herabwarfen. So mag die Weisheit dieses Ostiaken-
hundes, zierlich zu Papier gebracht, unseren als leuchtendes Beispiel
dienen! Wir stiegen fortwährend aufwärts! Kaum hatten wir
einen Höhenzug, hinter welchem wir jedesmal die Schtschutschja
zu erblicken hofften, erreicht, so zeigte sich eine Senkung, hinter
der sich wiederum eine neue Höhenreihe erhob. Aber die Landschaft
war schön und nur die Ungeduld, mit der wir dem Flusse
zustrebten, und die Ungewissheit in Bezug auf die Entfernung, liess
uns dieselbe nicht nach Gebühr würdigen und gemessen. Alle
Senkungen hatten nämlich zur Rechten und Linken reizende kleine
Seen aufzuweisen mit tief einschneidenden hohen Landzungen, die
wie die Ufer mit schönen Baumgruppen von Lärchen und Weidengebüsch
besetzt waren. Das Ganze erinnerte an einen herrlichen
möglichst wild gehaltenen, aber von Menschenhand angelegten Park
innerhalb des arktischen Gürtels.
Gegen 8 Uhr hatten wir die Höhe des 70 Meter hohen
Plateaus erreicht. Die Hügelreihe des Jangana-pai wie die Landschaft
hinter uns war verschwunden, vor uns lag eine gewaltige
Ebene, theilweise mit anscheinend dichtem Walde besetzt. In alleeartig
stehenden Lärchenreihen glaubten wir den Lauf der Schtschutschja
zu erkennen, aber ganz in der Ferne über drei Seen weg,
bezeichnete eine nicht schwarze, sondern hell leuchtende Stelle, anscheinend
ein steiles Flussufer unser Ziel, Tschornejar. Wir
schätzten die Entfernung auf mindestens 15—20 Werst. Es hiess
aber sich in Geduld fassen, denn schon der Ren halber musste zunächst
Halt gemacht werden. Wir hatten wieder Nacht bekommen
und sahen beim Zertheilen der Wolken zuerst wieder, wenn auch
matt, Sterne, also fast ungefähr an demselben Tage als Sujew
(30. Juli a. St.), Schrenk (8; August) und Hofmann (10. August)
dies für diese Breiten notiren. Der Ostiake fürchtete umsomehr,
dass sich in der Dunkelheit Ren verlaufen könnten, als überall
Bäume und Gestrüpp standen, welches sie dem Blicke leicht entzog.
Die Bäume waren auf diesem letzten Halt, bei dem fein herabrieselnden
Regen, unser grösster Trost. Nicht nur Zweige und
Aeste, sondern ein ganz trockener Lärchenstamm von 8 Fuss Länge
prasselte in hellen Flammen, hätte aber bald noch ein Todesopfer
gefordert, indem der Russe Stepan, welcher ihn auf der Schulter
herbeischleppte, beim Herunterwerfen den Ostiak Alexander so
unglücklich an den Kopf traf, dass Mann und Baumstamm gleichzeitig
zur Erde fielen. Glücklicher Weise ist ein Ostiakenschädel
äusserst solid, und so war Alexander eben nur etwas betäubt worden,
obschon er noch anderen Tags „Kopfschmerzen“ hatte, was
mir sehr begreiflich schien.
Mit dem Abend- und zugleich Mittagessen sah es sehr dürftig
aus: wir verzehrten die letzte Büchse mit Fleisch (unseren eisernen
Bestand!), und wenige verschimmelte Brodrinden wurden aus den
Säcken als letzter Rest hervorgeholt. Aber Taback war noch vorhanden;
es wurde flott geraucht und Feödor, der Schuster, sang
mit mächtiger Stimme seine schönsten Psalmen in die Nacht hin-
ein. Wir erwarteten nur die Tagesdämmerung. Schon um Mitternacht
weckte ich den Alten; gegen 1 Uhr (11. August) standen 6
mit 20 Ren bespannte Schlitten bereit. Die übrige Heerde blieb
hier unter dem Schutze des jungen Sanda, des verehlichten Bräutigams,
zurück, den ich zur festeren Begründung seines Hausstandes
mit anderthalb Rubel belohnte, und zwar in Silber, ein Reichthum,
wie er ihn gemünzt noch nicht zusammen gesehen hatte. Die Ein-
gebornen dieser Strecken sind mit Silbermünzen wenig vertraut und
wissen meist ein 15 Kopekenstück von einem 20 Kopekenstück nicht
zu unterscheiden; im Verkehr eignet sich daher am besten Kupfergeld,
doch nehmen sie auch Banknoten.
Das kühle Wetter und die Beschaffenheit des Weges waren
den Ren günstig; wir konnten meist im Trabe fahren. Zu Fuss
wäre die noch vor uns liegende Strecke Weges jedenfalls die allermühsamste
geworden. Nachdem wir, von der Höhe herabgekommen,
die zur Seite rechts liegenden Wälder passirt hatten, welche, wie
sich beim Näherkommen zeigte, übrigens keineswegs geschlossen
waren sondern aus sehr vereinzelten, aber wol an 30 Fuss hohen
Lärchen bestanden, nahm uns eine auf Morast ruhende von offenen
Sümpfen häufig unterbrochene Tundra auf, deren Weiden und
Birkengestrüpp so dicht und üppig war, dass es brusthoch reichte
und die Renthiere fast verdeckte. Es führte hier allerdings zum
Theil ein gelichteter Weg durch, aber in dem morastigen, mit
Bächlein durchzogenen Untergründe hätte man oft versinken können.
Dies würde überhaupt der Fall und die Tundra gänzlich unpassir-
bar sein, wäre dieselbe nicht schon in geringer Tiefe von einer
Spanne bis zu einem Fusse mit Grundeis bedeckt, wie unsere Unter-
31*