Der sanfte Abstieg währte übrigens nicht lange und veränderte
sich bald in eine Steile,- die in oft entsetzender Weise durch Schnee,
über Felsen und schlüpfrige Steine und zwischen Bäumen, zuweilen
hart am Rande des wol tausend Fuss tiefen Abhanges (um das
sonst so beliebte Wort „Abgrund“ zu vermeiden) zu Thale führte.
Da mein Sattelgurt ohnehin geplatzt war, so hatte ich erfreulicher
Weise Grund meine eigenen Füsse zu gebrauchen, denn eine Reparatur
Hess sich jetzt, wo Einer , dem Anderen auf dem schmalen Pfade
folgte, nicht wol machen. Nach ungefähr einstündigem Herab-
klettern nahm uns dichter Lärchenwald mit Wiesengründen auf, die
je weiter wir herabkamen eine um so üppigere Vegetation schmückte.*)
Gesträuche und Blumen, darunter herrlich blaue Enzianen und rothe
Päonien, die uns schon vor mehr als einem Monat im Ala-Tau
entzückten, hatten hier, allerdings fast um 5 Breitengrade nördlicher,
erst ihre Pracht entfaltet. Graf Waldburg sammelte hier
Salix Waldsteiniana, Gentiana alata, Paeonia anomala, Valeriana
officinalis, Corthusa Matthioli, Trollius altaieus, Atragene alpina und
mehrere andere für den Altai und das Hochgebirge eharacteristische
Pflanzen. Ueberhaupt wollte es mir scheinen, und eine dessbeziig-
liche Anfrage bei Graf Waldburg bestätigt meine Ansicht durchaus, als
wenn der Nordabhang dieser Gebirge einen viel dichteren Baumwuchs,
eine bedeutend üppigere und entwickeltere Vegetation, aufzuweisen
hat als die Südseite, während am Marka-Kul das umgekehrte
Verhältniss stattfand.
Gegen 5 Uhr erreichten wir den, Fuss des Gebirges, wenn auch
noch nicht die eigentliche Sohle des Buchtarmathales, unweit der
Ruinen des früheren chinesischen Grenzpostens Tschingistai**) und
*) Bezüglich der Botanik verweise ich auf Ledebour (Reisen I. 10. Abschnitt)
„Allgemeine Bemerkungen über die Flor des Altai und der angrenzenden Steppen“
p. 342—353, welche nicht allein Bilder der verschiedenen Vegetationszonen, sondern
auch Aufzählungen der Characterpflanzen und Vergleichungen mit deutscher
Flora enthalten. — Die letztere ist viel reicher als die des Altai, obgleich beide'
Länder fast unter denselben Breitengraden liegen. Teplouchow (Cotta’s Altai
p. 286. 291. 296) giebt eine sehr lehrreiche Scizze der Waldflora des Altai in
4000' Höhe, welche auf die obige Stelle ausgezeichet passen dürfte.
**) Ledebour besuchte denselben 1826 und gibt eine ausführliche Beschreibung
(Reise L. p. 312) desselben. Der Posten gehörte noch bis, zum Jahre 1869 zur
chinesischen Provinz Kobdo, wurde aber wie alle übrigen Grenzwachen mit
Mandschu besetzt. Der Commandant erzählte Ledebour, er habe 2 Monate von
Peking bis hierher gebraucht, erhalte aber Briefe aus der Hauptstadt in 14 Tagen,
lagerten in parkähnlich schönen Vorbergen in 1030 Meter Höhe.
Die etwas über 3000 Fuss hohe Thalfahrt hatte somit 3 Stunden
Zeit gekostet.
Ein eigenthümliches Gefühl überkäm mich, als ich zum letzten
Male von dem treuen Gaule, einem Rothschimmel, abstieg, der mich
soviele beschwerhche, halsbrechende Gebirgspfade auf und ab, durch
unzählige wildströmende Flüsse, Bäche, über sumpfige Hochwiesen
und tückische Moore getragen und sich dabei immer tüchtig, willig,
bedachtsam, sicher, kurz vollkommen brauchbar, ohne alle Tücke
erwiesen hatte und es drängt mich, da ich die Leistungsfähigkeit
lappländischer Tundren- und amerikanischer Felsgebirgspferde kenne,
dem ausgezeichneten Thiere, wie seiner ganzen Sippe, den Kirghisen-
pferden im Allgemeinen, ein ehrendes Zeugniss auszustellen. Wir
hatten nun alle Strapazen und Beschwerden einer Gebirgsreise hinter
uns, welche nicht nach den gewöhnlichen Begriffen unserer „grossstädtischen
Reisemenschheit“j wie Brehm sich ausdrückt, verstanden
werden kann. Nach ihm, der unsere Alpen gut kennt, „sind die
Wege in den wildesten Theilen dieses Gebirges durchschnittlich viel
besser, viel minder schwierig, und bei der Art des Reisens viel
weniger halsbrecherisch als die des Altai, obgleich letzterer im Vergleich
zu den Alpen nicht als wild zu bezeichnen ist“. Und ich
darf hinzufügen, dass ein Ritt auf den Gipfel des an 14,000 Fuss
hohen Grey’s Peak in den Rocky-Mountains wahres Kinderspiel ist
gegen Das, was wir im Altai durchzumachen hatten.
Und doch bietet derselbe noch bei Weitem schwierigere Partien
wie allein schon die Schilderungen Ledebour’s*) und Bunge’s (At-
kinson, der doch mehr Feuilletonist ist, gar nicht zu erwähnen) zur
Genüge beweisen. Aber die von jenen Reisenden durchzogenen
nördlicheren Gebirge von Korgon und Cholsun, in die Quellengebiete
der Uba, des Tscharysch und der Tschuja, scheinen grossartiger und
wilder. So bildet der Tscharysch, um nur dies Eine zu nennen,
in einer Länge von 5 Werst eine unterbrochene Kette von Katarakten,
die 5000 Fuss hoch herabbrausen. Wir sahen keinen einzigen
Wasserfall, immerhin aber soviel grossartige und erhabene
was auf damals sehr geregelte Postverhältnisse schliessen lässt. Als ein General
seine Ankunft meldete, musste Ledebour übrigens schleunigst den Ort verlassen,
*) Namentlich am Korgon und der kleinen weissen Uba (Reise I. p. 160, 155,
203, 247 und 266, II. p; 64).