Ehe man an Schlafen überhaupt nur denken konnte galt es die
„Kajüte“ wenigstens einigermassen von den Plagegeistern, den
Mücken (russ. Camari), zu säubern.
Seitdem ich die Pensterchen hatte anbringen lassen, schien es
erträglicher werden zu wollen und ich schrieb vergnügt in mein
Tagebuch „ziemlich mückenfrei, da alle nach den Fenstern fliegen;
man kann ohne Stiefeln schlafen“, aber schon zwei Stunden später
musste ich dies wiederrufen. Und so ging es genau als ich schon
so sehr gegen die Stiche abgestumpft schien, dass ich anfing
zu glauben, sie wirkten nicht mehr so wie früher! Denn in -selbiger
Nacht, wo Hunderte in der Lotka säuselten, zerstachen sie mir sogar
die bisher verschonten Lippen und Augenlieder. Die am meisten
erkorenen Stellen sind übrigens Schläfe, Nacken, Handgelenke,
Hände und das Fussblatt. Ein gewöhnlicher Strumpf schützt das
letztere keineswegs, ebensowenig gewöhnliche Handschuhe die Hände.
Selbst die dicken Hirschledernen, wie ich sie trug, waren nicht unanfechtbar.
Mit innerem Behagen sah ich zwar, dass es aller Anstrengung
unerachtet dem Stachel nicht gelang das Leder zu durchdringen,
was bei gewöhnlichen Beinkleidern fast stets geschah, aber die
emsigen Mücken wussten die Schwächen des Handschuhs gar bald
zu entdecken. Die Näthe können noch so fest sein, sie bieten immer
noch Raum genug um einen Mückenstachel einzusenken. Jetzt fühle
ich denselben auf der Haut, sehe aber zugleich das Behagen des
Angreifers, der anfängt Blut zu lecken. Ruhig lasse ich die Mücke
o-e währen, die vor Wollust die Hinterbeine abwechselnd ausreckt
und sich mit denselben kitzelt. Ihr Hinterleib wird zusehends
dicker und röther. Jetzt ist derselbe fast vollgesogen, da trennt
plötzlich ein Schnitt mit der feinen Scheere ihren Rüssel ! Im ersten
Moment scheint sie dies nicht gemerkt zu haben, bis ein Tasten
mit den Vorderbeinen verräth, dass sie den Verlust inne wurde
und nun emsig nach Etwas sucht, was für immer dahin ist. Ganz
ebenso benahmen sich Mücken, denen ich den voll Blut strotzenden
Hinterleib abschnitt, während der Verlust eines Beines ganz ignorirt
wurde, so sehr beschäftigt sie ihr Blutdurst. Diese Beobachtungen
versetzten oft in Heiterkeit, oder mehr Galgenhumor, denn wir begriffen
nur zusehr die Machtlosigkeit solchen Heerschaaren gegenüber,
von denen schon der alte Gmelin*) mit Recht sagt, „dass sie
*) Reise IV. p. 97 u. sehr beaehtenswerth, weil heut noch zutreffend die
ein mächtigerer Feind seien als die räuberischen Kirghisen.“ Ja!
giebt es denn gar kein Mittel dagegen? höre ich fragen! und muss
antworten: nein! keins, welches als specifisch zu bezeichnen wäre.
Was nützt der breitkrämpige Hut mit dem Schleier: 20 Mücken und
mehr sind schon beim Aufsetzen mit unter denselben gerathen.
Und dass Rosmarinöl und Aehnliches ebenfalls nichts helfen wurden
wir schon am Ala Kul gewahr. Freilich haben wir Birkentheer
nicht versucht, würden den Geruch desselben aber jedenfalls selbst
nicht ertragen haben,"ebenso wenig als wir es in den Netzen aus
feinem Pferdehaarsieb aushielten, welcher sich die Eingebornen bedienten.
Am besten hilft jedenfalls Rauch, aber nicht der einer
Cigarre oder Pfeife, sondern dichter Qualm, in welchem man fast
selbst erstickt. Bewunderungswerth ist es, wie sich diese federleichten
Wesen, selbst bei mässigem Luftzuge zu halten und dem
Wanderer zu folgen vermögen, geradezu unerklärbar aber ihr plötzliches
Erscheinen. Wir landen z.B. auf einer weiten, weiten durchaus
kahlen Sandbank und hören mit Vergnügen die Meldung „keine
Camari!“ In der Luft ist Alles völlig mückenfrei! Nach kurzer
Zeit lässt sich ein verdächtiges „sssiiii!“ hören und damit zugleich die
erste Mücke sehen. Erst eine, dann zwei, drei, in den nächsten paar
Minuten ist man schon von Tausenden umschwärmt! Ebensowenig als
schwacher Wind ficht schwacher Regen die Mücken an, ja vor oder
bei Ausbruch eines solchen, sowie überhaupt bei bedeckter, feuchter,
warmer Luft ist die Plage gewöhnlich ärger als sonst. Nur kühle
Witterung macht die niedlichen Thierchen träge und matt und
wenn die Temperatur bis auf 2 Grad über Null sinkt, scheinen sie
plötzlich wie verschwunden. Wie ich beobachtet zu haben glaube
verkriechen sie sich dann in die Moosdecke*) der Tundra, aus der
Stelle in Band I. p. 199. — Siehe auch: Pallas II. p. 222, der als einziges Mittel
ein Gefäss mit qualmenden Birkenschwamm auf den Rücken gebuuden empfiehlt!
und üher die Mückenplage in Lappland: Pinsch in: Westermanu’s Monatsheften
1876. — Schrenk (II. p. 376—381) sucht den Nutzen der Mücken für den Haushalt
der arctischen Gegenden dadurch zu begründen, dass sie es sind, welche die
Renthiere zum Wandern zwingen.
*) „Bei heftigem Regen verbirgt sich die Mücke im Gesträuch und im Grase
(Waldregion des Ural), sie macht sich aber nichts aus feinem, wenn auch sehr
dichtem Regen und dringt dann gewöhnlich mit verdoppelter Beharrlichkeit ein“
(Kowalski [in v. Hofmann p. XIII]).