türkische ist, zu sein; das Geschlecht Naimann mag wol mongolischen
Ursprunges sein.“ Jedenfalls zeigen manche, namentlich
adlige Kirghisen vom „weissen Knochen“, wie z. B. der später zu
erwähnende Sultahn Ahin Dair entschieden mongolisches Gepräge,
aber dieses ist keineswegs nur den Vornehmen eigen. Die schöne
Reihe von Original-Photographien (darunter allein 47 Character-
köpfe), welche Frau Generalgouverneur v. Poltoratzky für mich aufzunehmen
die Güte hatte, giebt eine wahre Musterkarte von Kir-
ghisen-Physiognomien. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass die
ziemlich stark vorspringenden Backenknochen (Jochbogen), die in
den Winkeln etwas schief herabgezogenen Augen, welche wegen
der wulstigen Ränder schmal geschlitzt und blinzelnd erscheinen,
die meist etwas abgeplattete, breitflügelige Nase und der durch-
gehends grosse Mund mit besonders entwickelter wulstiger Unterlippe
als Rasseneigenthümlichkeiten gelten dürfen. Doch giebt es
wie gesagt, eine Menge Abstufungen. So finden sich. Individuen
mit gebogenen Nasen, die dann ausserordentlich jüdischem Typus*)
ähneln, nicht selten. Wenn im Allgemeinen auch dunkle stechende
Augen als Regel gelten können, so kommen doch auch hellbraune
und graue vor; doch erinnere ich mich nicht blaue gesehen zu
haben. Wie die Augen ist das Haar meist schwarz oder überhaupt
dunkel; aber helle Bärte (nicht blonde oder rothe) ziemlich häufig,
ohwol Meyer auch die letzteren erwähnt, wenn mir darüber auch
eigene Aufzeichnungen fehlen. Der im Ganzen schwache Bartwuchs
ist am Kinn üppiger entwickelt, aber man sieht, doch nur
hei Leuten in vorgeschritteneren Jahren, auch annähernd hübsche
Vollbärte und Bartlosigkeit darf keineswegs wie bei den Mongolen
als Eigenthümliehkeit betrachtet werden. Wenn die Kopfbildung
auch eine wohlgestaltete ist, namentlich in Folge der gut geformten
Stirn, die durch das kurzgeschorene oder ganz ahrasirte Haar noch
mehr gehoben wird, so können die Kirghisen nach unseren Begriffen
immerhin nicht als ein schöner Menschenschlag gelten und
stehen als solcher jedenfalls hinter Tataren und Sarten zurück,
übertreffen aber die Kalmücken. Die Physiognomie ist nicht als
eine edle in unserem Sinne zu bezeichnen, und „Galgengesichter“
eine häufige Erscheinung. Von Statur sind die Kirghisen mittel-
*) Abbild. 11, obere Figur, stellt diese Form dar, die untere den gewöhnlichen
Typus.
gross bis klein, aber gedrungen und kräftig gebaut. Eigentliche
Hünengestalten sind sehr selten, denn die meist durch behäbige
Korpulenz ausgezeichneten Sultane und anderen Vornehmen haben
diese wol der constanten Faulheit, dem Wohlleben und, ähnlich
wie unsere professionirten Biertrinker, dem steten Kumissgenuss zu
danken. Ueber die Hautfarbe habe ich mich schon (p. 123) ausgelassen.
Es genügt daher zu erwähnen, dass die Kirghisen im
Ganzen dunkler als europäische Landbewohner erscheinen, also einen
mehr oder minder bräunlichen, z. Th. ins gelbbräunliche ziehenden
Teint haben. Als gleichsam geborne Reiter und wenig an Arbeit
gewöhnt sind ihre Glieder schlank; ganz besonders fällt die kleine
und zierliche Fussform auf. Das Gesagte bezieht sich eben auf die
Männer, denn mit dem schönen Geschlechte wurden wir wie (p. 75)
erwähnt, leider zu flüchtig bekannt, und bekamen z. B. keine einzige
vornehme Kirghisin zu sehen. Nach den mir vorliegenden
Photographien der Frau Generalin Poltoratzky muss es indess unter
den Kirghisinnen selbst nach unseren Begriffen ganz hübsche, mau
könnte fast sagen, niedliche Gesichter geben, wie Abbild. 12 zeigt.
Beiläufig möge die Bemerkung Platz finden, dass die z. Th.
bunten Illustrationen in Atkinson’s wiederholt citirtem Werke,
welches über Kirghisen wol das meiste Anschauungsmaterial liefert,
sowol in Färbung .als Typus durchgehends verfehlt, als Völkertypen
daher ohne Werth sind.
Die Sprache der Kirghisen steht, nach Radloff,*) unbedenklich
wol dem compentensten Forscher auf diesem Gebiete, den Altaischen
bedeutend näher als den tatarischen Dialecten Russlands. Die Einwirkung
des Mongolischen zeigt sich nur in sehr wenigen Zügen,
jedoch ist sie unverkennbar vorhanden. Das Kirghisische (Chasak)
bildet mit Kara-Kirghisisch und Uigufisch (Tarantschi) die Dsunga-
rische Gruppe der Türk-(Tatar) Dialecte von welcher Radloff noch
eine Altaische und Sajanische Gruppe feststellte. „Diese drei
Hauptgruppen der türkischen Dialecte Sibiriens bilden ein Mittel
glied zwischen den Tatar-Dialecten des .europäischen Russland und
dem im Osten Sibiriens gesprochenen „Jakutischen“. Für Den,
welcher so lange wie ich in der (europäischen) Türkei lebte und
das dortige Türkisch leidlich sprach, ist es nicht schwer, auch ohne
*) Mélanges Eusses tirés du Bulletin de l’Academie imp. des scienc. de St.
Petersbourg. Tom. IV. Livr. 3 p. 362 et Livr. 4 p. 460.