birken und Gras. Letzteres bedeckt feuchte Niederungen oft in
wiesenartiger Ausdehnung und Ueppigkeit.
Das rechte Ufer des Flusses, das viele, sich zusehends ver-
grössernde, hie und da mit Steingeröll bedeckte, Sandbänke zeigte,
fiel zum Theil steil ab, und bildete 20—30 Fuss hohe Schluchten,
in denen zuweilen noch Schnee und Eis lag. Da wo Tundren angrenzten
waren die Weiden-und Erlendickichte mehr verschwunden
und die Zwergbirke vertrat die Stelle. Der Fluss wurde zugleich
seichter, das Schiff stiess oft auf den Grund und es musste nach
gutem Fahrwasser gesucht werden. Am dritten Tage nach unserem
Aufbruche vom Tschum Pereja erklärte Dschunschi, das Schiff könne
nicht weiter, und wir bezogen am 27. Juli (8 Uhr früh) auf der
offenen Tundra ein Lager, gegenüber der Einmündung des kleinen
Flusses Haijaha (samojed. Götzenfluss), von dem wir durch eine grosse
Insel mit Dünenbergen getrennt waren, welche die Sehtschutschja im
weiten Boffen und in zwei Armen umströmt. Ich besuchte diese o
Insel, um mich über den Lauf des Flusses zu unterrichten, und fand
hier die üppigste Flora,*) welche wir bisher im Norden gesehen
hatten. Steinnelken, Glockenblumen (Campanula rotundifolia L. var.
linifolia), Wicken (Astragalus alpinusL.), untermischt mit Vergissmeinnicht
und gelbem Hahnenfuss (Ranunculus lapponieus und reptans)
*) Die ältesten Nachrichten Sujew’s (Pall. 3 p. 33) sind nach Ruprecht nicht
immer verlässlich, wichtig dagegen: Ruprecht: „Flora boreali-uralensis“ (in Hof-
mann's Reise) und Schrenk II. (p. 483—549).
bildeten förmliche Teppichheete. Die Insel stand mit einer enormen,
im Abtrocknen begriffenen Sandbank in Verbindung, welche sehr
viel Eisensand enthielt. Am rechten Ufer fand ich das erste anstehende
Gestein. Doch hatte Graf Waldburg schon etwas weiter
unterhalb Felsen, welche das Ufer bildeten, beobachtet. Die hier
gefundenen Felsarten waren, wie die mitgebrachten Stücke zeigten,
ein grauer derber Kalkstein (Marmor), neben dem unmittelbar Diabas
anstand," der, wie die ganze Sandbank, mit einem schwarzen Eisenniederschlag
förmlich überzogen war. Ganz ähnliche Beschaffenheit
zeigten die bisher hie und da einzeln auf Sandbänken angetroffenen
Rollsteine, oft grössere Blöcke, die aus Gneiss, Quarzit, Chloritschiefer
und Hornstein bestanden.
Ein Besuch des vielleicht 50—60 Fuss hohen Dünenberges am
linken Ufer des Haijaha war nicht minder lohnend. Von hier aus
schweifte das Auge weit über die Tundra, bis zu einem schwarzen
sargähnlichen Hügelrücken, den die Eingebornen Paisauwei-pekudja
nannten. Ansserdem fand ich hier eine ostiakische Hinterlassenschaft,
bestehend in theilweis mit Pelzwerk (darunter zum ersten Male ein
Stück Eisbärenfell) und Netzen beladenen Schlitten, zwei alten verrosteten
Flintenläufen und, was mir besonders lieb war, einen hölzernen
Götzen. Derselbe stellte in ganzer Figur einen Samojeden dar, dessen.
Bauch, ähnlich wie bei afrikanischen Fetischen, in ein Opferkästchen
ausgemeisselt war und der einzige seiner Art*) blieb, den ich zu
sehen bekam. Mehrere der sonderbaren Kerbhölzer,**) welche z. Th.
als eine Art Kalender und Rechnungsbuch dienen, erregten nicht
minder meine Aufmerksamkeit. Dschunschi erlaubte erst nach langem
Verhandeln einige mitnehmen zu dürfen, da dieselben Erbschafts-
Documente, Schuldbücher, sind, indem jeder Kerb eine gewisse Anzahl
Renthiere bezeichnet.
Auf einer Lärche bei dieser Stelle stand ein jetzt .verlassenes
Horst vota Rauhfuss - Bussard (Buteo lagopus), unter demselben lagen
*) Schrenk erwähnt einen sehr merkwürdigen Götzen, eine rohe Darstellung
eines Vogels (I. p. 437).
**) Schrenk (I. p. 509) erwähnt dieselben ebenfalls und leitet ihren Ursprung
auf die Russen zurück; auch die Syrjänen, bedienen sich ähnlicher Kerbhölzer als
Kalender, um auf der Tundra über Sonn- und Festtage unterrichtet zu sein (Schrenk
p. 330). Unsere Fingebornon verzeichneten jeden mit uns zurückgelegten Tag auf
einem Kerbholz, den sie am Gürtel trugen. Sehr schöne Kalender aus Mammuth
hei den Jakuten (Midd. p. 1541 mit Abbild.).