bezahlt, als was jeder gewöhnliche Reisende geben muss, so mögen
Millionen herauskommen. Freilich erspart sich das europäische
Russland dadurch eine Menge ebenso kostspieliger Zuchthausbauten.
Aber würden nicht Theile • dieser colossalen Summen auf freiwillige
Ansiedelung betriebsamer und thätiger Einwanderer aus den bevölkerten
Gouvernements West-Russlands verwendet, Sibirien nicht
ganz añders genützt haben? Ich möchte dabei nur an die englische
Kolonie Neu-Seeland erinnern, ein kleines Land von nur 270,000
Q.-Kil. Flächeninhalt. Kaum vor mehr als .100 Jahren entdeckt,
hat es jetzt 414,000 Bewohner (darunter nur etwa 45,000 Ein-
geborne) aufzuweisen. Während Russland, wie wir eben gesehen
haben, von 1870-1877 36,000 Menschen nach Sibirien deportirte,
importirte Neuseeland, ohne Unterstützung des Mutterlandes, während
desselben Zeitraums 71,693 freiwillige ¡Einwanderer als freie
Arbeiter.
Tjumén habe ich bereits (p.. 39) beschrieben, will aber noch
hinzufügen, dass es wie die meisten oder fast alle grossen Städte
Sibiriens einen „Bürgerpark“, d. h. eine mit Bäumen bépflanzte
Promenade besitzt. Etwas südlicher als Tobolsk unter 57° 10' n. Br.
gelegen, gedeihen in geschützten Gärten Aepfel, Birnen und Kirschen
wie die gelungenen Versuche des Herrn Kolmogoroff zeigten, der
sich erfolgreich mit der Einführung von Obstbäumen beschäftigt.
Tjumén sahen wir, zuerst in Sibirien, auch Flusskrebse (wol
die Art der Wolga: Astaeus leptodactylus). Sie stammen aus der
Tura, wohin sie künstlich verpflanzt wurden. Nach •Poljakoff
sollen Krebse übrigens auch im Irtisch von Omsk bis Tobolsk Vorkommen.
Die Verpackung der elf letzten Kistern mit Sammlungen war
besorgt, wir hatten an der splendiden Tafel von Iwan Iwanowitsch
einen reizend gemüthlichen Mittag verlebt, unsere Geschäfte waren
also beendet; wir eilten daher so schnell als möglich unseren westlichen
Kours weiter. Gern hätte ich noch das Grab des hochverdienten
Steller aufgesucht, welches Pallas (II. p. 366) erwähnt,
allein Niemand kannte die Stelle. Zu unserem innigen Bedauern
verloren- wir hier unseren bisherigen liebenswürdigen und eifrigen
Reisegefährten, den Herrn Grafen Waldburg-Zeil. Er blieb —
glücklicher Weise im besten Wohlsein — zurück, um mit Iwan
Iwanowitsch nochmals nach Omsk zu reisen und später einige interessante
Jagden mitzumachen, die uns leider entgingen. Wir mussten
eben nach Haus eilen, während der Graf noch üher ein ganzes Jahr
Urlaub hatte.
Unter herzlichem Adieu und „auf frohes Wiedersehen in Bremen“
schwangen wir uns in der Frühe des 12. October in die Tarantassen
und fort ging es der nahen Grenze entgegen. Mit dem
Eintritte in das Gouvernement Perm trat uns eine bisher nur selten
gesehene Erscheinung entgegen: Wegeverbesserung! Die Hoffnung
hier wirklich einmal wenigstens annähernd bequem und schneller
fortzukommen, war indess leider eine eitle. Man hatte sich darauf
beschränkt, einzelne Löcher mit Sand und Grus auszufüllen, oder
diese Materialien auf eine Unterlage von Birkenstämmchen und
Reisern aufzuschütten. Ohne festen Untergrund waren in beiden
Fällen durch den lebhaften Verkehr zahlreicher Wagenkaravanen
bereits neue tiefe Geleise eingeschnitten, in denen die Wagen grässlich
hin und herschüttelten. Von landschaftlichen Reizen konnte
auch auf dieser Strecke nicht die Rede sein. Der Weg führte oft
stationsweit durch Wälder oder durch bruchähnliche, schlecht mit
Birkengebüsch bestandene Strecken, die mit Stoppelfeldern und angebautem
Lande abwechseln. Zwei Stationen vor Jekaterinenburg
erblickten wir zuerst seit Parawatzki-Jurty die Bergkette des Ural
wieder,1 hier nur das Bild einer niedrigen marklosen Hügelreihe
bietend. Wir passirten zahlreiche oft sehr ausgedehnte, bis sieben
Werst lange Dörfer, die' in Sibirien fast durchgehends schmucker
und behäbiger als in Russland sind, wie das Innere der Häuser
selbst in musterhafter Reinlichkeit gehalten wird. Unsere Abbildung
(56) stellt ein solches „sibirisches Familienleben“ dar, mit der
landesüblichen Wiege (Lulka), die ich zur Nachahmung angelegentlichst
empfehlen möchte.
Wir quälten uns in der Stpckfinsterniss langsam weiter und
brauchten zu- der letzten Station von 26 Werst 4 volle Stunden.
Heller Schein färbte den Himmel, wir glaubten schon den Widerschein
einer erleuchteten Stadt zu erblicken. Es waren die Bivouak-
feuer wandernder Hirten, die mit ihren Heerden fettsteissiger Kir-
ghisenschafe aus der Steppe kommend, längs der Strasse in den
Lichtungen der Wälder campirten. Erst gegen 10 Uhr Abends,
den 13. October, langten wir in Jekaterinenburg an und stiegen
in dem uns wolbekannten „Hotel Europa“ ab, nachdem wir zu
der dreihundertundsechs Werst längen Strecke 36 Stunden gebraucht
hatten.