hochgestauten Sparteichen welche oft 10—18 Werst Umfang haben,
zunächst soviel Wasser gelassen, um die Eisdecke vollends zu brechen
und dann an einem durch die Behörden bestimmten Tage diese
grossen Reservoirs ganz abgelassen und zwar so, dass mit den zu
oberst gelegenen angefangen wird. Mit diesem Hoch- und künstlichen
Stauwasser zugleich schwimmen die beladenen Lotken, welche
10—12000 Pud Tragfähigkeit haben, stromabwärts, und bilden, von
Fabrik zu Fabrik an Zahl zunehmend, eine stattliche Flottille. Da
die Tschussowaja sehr reissend ist und zum Theil hohe Felsufer
besitzt, so ist die Schiffahrt keineswegs ganz gefahrlos. Wie
Atkinson*) berichtet werden die Lotken, ehe sie abgehen, desshalb
von Popen eingesegnet und es findet eine Festlichkeit statt, bei der
Schnaps eben keine untergeordnete Rolle spielt.
Die Dörfer im Ural sind schöner und grösser als die bisher
gesehenen und verrathen durchgehends Wohlhabenheit, besonders
solche wo Bergbau getrieben wird. Bilimbajewskaja zählt mit zu
diesen, aber man bekommt von seinen Bergwerkseinrichtungen im
Vorüberfahren weniger zu sehen, als in dem naheliegenden Wassil-
jewska Sawot, einem sehr grossen Dorfe, welches sich mehrere Werst
hinzieht. Es besteht durchgehends aus netten Holzhäusern, hat
aber auch solche von Ziegeln aufzuweisen. Unmittelbar neben den
grossen Schmelzhütten, bei welchen riesige Vorräthe von Holzkohlen
lagerten, passirt man den kleinen Fluss Scheitanka, der der Tschussowaja,
als der letzte westwärts dem Ural entspringende, zufliesst.
Der lebhafte Wagen verkehr zeigte ebenfalls, dass wir in Berg-
werksdistriete eingetreten waren, denn die vielen Karawanen, denen
wir begegneten (oft 70 Wagen und mehr hintereinander), hatten
meist Roheisen (Rund, Stab-Band-), ausserdem Mehl und abgehäutete
Hammel geladen. Letztere, der erste, allerdings wenig einladende
Gruss aus der Kirgisensteppe, dienen als Provision für die zahlreiche
Bevölkerung der Bergwerksdörfer.
Hinter Wassiljewska-Sawot erreicht man die Passhöhe**), die nur
*) „Oriental and Western Siberia etc. (London 1858)“ p. 15 und 16 mit einem
recht anschaulichen Holzschnitte.
**) Ueber die eigenthnmlichen Verhältnisse der Wasserscheide vergl. Gr. Bose
(I. p- 127), der zugleich über die Strecke Perm-Jekaterinenburg, welche er auf
demselben Wege als wir zurücklegte, geologisch wol die beste Auskunft giebt
(I. p. 119—129). Wichtige Bemerkungen über den geologischen Bau des Ural,
namentlich seiner Kohlenlager, giebt auch Prof. Tula („Eine geologische Beise
nach dem Ural 1874“). — Nach Ledebour ist Grobowskaja die höchste Uralstation.
1260 Fuss beträgt, eine weit ausgedehnte, grösstentheils abgeholzte
Hochfläche, von welcher man bewaldete Höhenrücken, rechts einige
höhere Bergkuppen erblickt. Die östliche Abdachung des Ural ¿st
eine noch sanftere als die westliche, da sie von der Passhöhe bis
Jekaterinenburg nur 600 bis 700 Fuss beträgt.
Wie an der Westseite so gestatten auf der Ostseite die dichten,
aber vernachlässigten Kiefernwälder nur beschränkte und ermüdende
Fernblicke. „Von der armseligen Beschaffenheit dieser Wälder”
schreibt mir Graf Waldburg-Zeil, „erhält man erst einen rechten
I Begriff, wenn man sich jagend in ihnen umhertreibt; im Vorüber-
I fahren sahen sie nicht halb so schlimm aus. Ich war wirklich er-
I staunt über den elenden Zustand derselben, eine Folge der Wald-
[ brände und des enormen Holzverbrauchs der Schmelz- und Hütten-
[ werke. Nur in den dem Fürsten Demidoff gehörigen Districten soll
| es besser aussehen, weil hier eine rationelleForstcultur, mit 100 jähriger
I Eintheilung der Abholzungsflächen eingerichtet wurde.” Zwei Sta-
I tionen vor Jekaterinenburg, zwischen dem 2. und 3. Werstpfahle
I hinter der Station Salitzkaja passirt man die Grenze Europa’s und
I Asien’s. Es steht hier links am Wege ein steinerner Obelisk, welcher,
[ wenn ich nicht irre, bei Gelegenheit der Reise des Grossfürsten Wladimir
Alexandrowitsch errichtet*) wurde und eine dessbezügliche Inschrift,
j sowie an der Westseite das Wort „Europa”, an der Ostseite „Asien”
trägt. Wir erreichten diese für den Reisenden bedeutungsvolle
i Stelle um 11 Uhr früh. Der Himmel war heiter, ein in den Lüften
schwebender Adler, den ersten welchen wir sahen, gab uns den ersten
Gruss in Sibirien und würde gewiss von jedem Augur als glückver-
[ heissendes Omen gedeutet worden sein. Was Wunder daher wenn
| auch wir uns in fröhlicher Stimmung befanden und eine Flasche
i auf das Wohl Sibiriens leerten. Geographisch hatten wir das Ziel
i unserer Wünsche und Bestimmung erreicht, politisch noch nicht,
I da Jekaterinenburg noch zum Gouvernement Perm gehört. Das
t letztere nimmt unter allen Gouvernements des Russischen Reiches
dadurch eine besondere Stellung ein, dass es in einen europäischen und
asiatischen Theil zerfällt, von welchem letzteren eben Jekaterinenburg
die Hauptstadt ist. Die vielen Bergwerks- und Hüttendistricte des
Ural sind Ursache, dass beide Theile ein Ganzes bilden, da sich eine
) Ein ganz ähnliches Grenzdenkmal, zur Ehre desselben kaiserlichen Beisenden
erbaut, beschreibt Prof. Toula von Kedrowka, auf der Uralroute zwischen Perm
Und Kuschwa.