ausgesprochene These fest: „Die Samojeden sind ein Mischlingsvolk,
en ts ta n d en durch die Vereinigung finnischer
und mongolischer Völker.“ Castren’s linguistische Forschungen
haben diese These vollkommen bestättigt, ja seihst bezüglich der
finnischen Sprache zu ähnlichen Resultaten geführt. So sagt Castren
(II. p. 401) „der finnische Sprachstamm schliesst sich am nächsten
an den Samojedischen und Türkischen an, hat aber zugleich eine
entschiedene Verwandtschaft mit dem Mongolischen. Aus dieser
Sprachverwandtschaft kann mit Sicherheit geschlossen werden, dass
die Finnen vormals am Altai wohnhaft gewesen sind.“
Ist dieser Satz richtig, so würde sich darnach zugleich die Abstammung
der Ostiaken erklären, die nach dem übereinstimmenden
Urtbeile wol aller Forscher „echte F in n e n “ sind. Dies bestätigen
auch briefliche Mittheilungen, welche ich der Güte von Professor
Ahlqvist und Stud. Bergroth in Helsingfors verdanke. Der Letztere
schreibt mir „was die Völker am unteren Ob betrifft, so gehören
die Ostiaken und Wogulen zum finnischen Volksstamme, allein die
Samojeden zu einem ganz anderen.“ Aehnlich Professor Ahlqvist:
„Castren nimmt wol eine Verwandtschaft zwischen Samojeden und
Finnen an, aber doch nur eine fernere, welche sich auf das in beiden
Sprachgruppen massgebende Agglutinationsprincip gründet. In dem
Sprachmaterial, und auch in den Biegungsformen, aber sind die
samojedischen Sprachen mit den finnisch-ugrischen ebenso wenig
und sogar noch weniger verwandt als z. B. Russisch mit Portugisisch
oder Schwedisch mit Persisch.“ Fügen wir noch hinzu, dass nach
Ahlqvist: „die Ostiaken der Sprache nach den Magyaren sehr nahe
verwandt sind, so wäre der gegenwärtige Stand der Kenntniss der
Sprachverwandtschaft characterisirt, die indess bezüglich des Samojedischen
noch nicht völlig sicher gestellt zu sein scheint. Nach
Rittich (Geogr. Mitth. Ergänzungsheft No. 54) gehören die Ostiaken
zur ugro - finnischen Gruppe des ural - altaischen Stammes der
mongolischen Rasse, die Samojeden als nächstverwandte, aber besondere
Gruppe ebenfalls hierher. Ostiakisch ist übrigens eine ganz
wohlklingende, vocalreiche Sprache, in welcher schon dem Laien die
dem Englisch th ähnliche Aussprache des t auffällt, welches sehr
häufig wie tl klingt und wie ich aus Castren (p. 133) ersehe, in der
That characteristiseh ist. Wie die Russen kein h, so können die
Ostiaken, wenigstens nach unseren Erfahrungen, kein f aussprechen
und gebrauchten statt dessen stets p. — Dass Samojedisch, übrigens
ebenfalls sehr wohlklingend, eine ganz verschiedene Sprache ist, und
als Umgangssprache zwischen den beiden Völkern dient, die sich
sonst ja nicht verstehen würden, erwähnte ich bereits. Trotz dieser
auch dem Laien auffallenden Verschiedenheit erklärt sie Castren,
sich oft widersprechend, wiederholt (vergl. p. 69—74, 199 u; 394)
als mit Finnisch verwandt. .Sowol Ostiakisch als Samojedisch
zerfallen wiederum in Dialekte und Dialektnüancen. Für erstere
Sprache führt Castren (p. 120) 3 Hauptdialekte an, für Samojedisch
(p. 462) ebenfalls 3 und c. 12 Dialektnüancen, die v. Middendorff*)
erläutert und zurückzuführen versucht (p. 1411—1414). Nach
Hofmann (p. 49, 50) ist der sogenannte laepinsche Dialekt, welchen
die Ostiaken bei Bereosoff sprechen, ungefähr gleich mit Wogulisch,
und so verschieden von dem obdorskischen Ostiakisch, dass Vertreter
beider Dialekte sich nicht verstehen können.
Was die äussere Erscheinung anbelangt, so sind die Beschreibungen
Sujew’s (Pall. 3**), welche noch heut so häufig als
Quelle dienen, nur als individuelle aufzufassen, geben aber als Ge-
sammtbild eine durchaus falsche Vorstellung, wie schon Castren
(p. 306) berichtigte. Wenn der Reisende nach der ersten Bekanntschaft
mit fremden Völkern, nach dem ersten Individuum, zugleich
den Typus des ganzen Stammes erkannt zu haben glaubt, so verschwindet
dieses zuerst eingeprägte Bild immer mehr, je mehr derselbe
Stammesgenossen zu sehen bekommt. So ging es uns mit den
Tataren, mit den Kirghisen, Ostiaken und schliesslich mit den Samojeden!
Dabei beeinflusst natürlich die Nationaltracht das Urtheil
sehr. Wie Middendorff seine samojedische Wäscherin eines Tages
nicht wieder erkannte, weil — sie sich gewaschen hatte, so sprach
ich Herrn Sobrin als Samojeden an, obwol ich kaum eine Woche
*) „Sibirische Eeise“ Band IV. Theil 2. „Die Eingeborenen Sibiriens“ (1875).
**) Ostiaken (p. 39). „Von Gestalt sind sie mehrentheils mittelmässig und
kleinlich, schwach von Kräften und besonders dünn und mager von Beinen. Ihre
Gesichter sind fast durchgängig unangenehm, bleich und platt, doch ohne irgend
eine characteristische Ausbildung. Das gemeiniglich röthliche oder ins helle
fallende Haar verunstaltet sie noch mehr.“ Samojeden (p. 63) „sind im Ansehen
und der Sprache von den Ostiaken gänzlich verschieden; sie haben fast das Ansehen
der Tungusen, runde, breite und platte Gesichter, aufgeworfene breite Lippen,
eine breite offene Nase, wenig Bart und schwarzes borstiges Haar.“ Schrenk, der
nur wenige Ostiaken antraf, fand ihre Gesichtsbildung wenig von der der Samojeden
verschieden (p. 439), bemerkt aber das meist blonde oder braune Haar; aber
auch Castren bestätigt als Eegel schwarzes Haar.