geschworen“ hat volle gesetzliche Gültigkeit und wird selbst vor
Behörden angewandt. Poljakoff theilt (p. 52) die hübsche Legende
mit auf Grund welcher die Ostiaken den Bären (ost. Otschne, sam.
Hajbide), den Sohn Turoins, des Erschaffers des Weltalls, für den
göttlichen Repräsentanten der Gerechtigkeit auf Erden halten.
Nach Schrenk (p. 408) hat der Eid, welchen Samojeden bei einem
Häufchen Schnee oder Erde leisten, wovon sie ein Stückchen wegschneiden
und dabei sprechen: „schwöre ich falsch, so mag ich
sterben und der Schnee (oder die Erde) soll mein Gebein decken“
dieselbe Gültigkeit. Castren bestätigt dies (p. 200) und erklärt „die
Eidesleistung als eine religiöse Handlung der Ostiaken von höchster
Bedeutung“ (p. 296).
Immerhin hat die Wahrheitsliebe der Eingebornen in mancher
Hinsicht gelitten und ist erschüttert worden. Die trüben Erfahrungen,
welche sie mit den fremden Eindringlingen so häufig
machten, zwangen sie dazu. Gewohnt fast stets übervortheilt zu
werden, griffen auch sie zu dem entsittlichenden Mittel der Lüge,
namentlich da wo es in ihrem Yortheile liegt Jagderträge und Vor-
räthe an Pelzwerk zu verheimlichen. Aber Rachsucht, wie Albin
Kohn, auf Grund einer ihm gewordenen Episode, welche einen betrogenen
Ostiaken bis zum Morde reizte, annimmt, kennen sie
nicht, sonst würden unzählige Mordthaten Vorkommen. Ueberhaupt
habe ich allen Grund die ganze tragische Erzählung (p. 32) als
eine erfundene zu betrachten, denn einen so eclatanten Fall, der
kaum vor mehr als 12 Jahren passirte, würde man uns nicht vorenthalten
haben. Jedenfalls wissen die Eingebornen Vertrauen mit
Vertrauen zu vergelten; dies erfuhren wir zur Genüge. Denn als
sie unsere Versicherung, dass wir keine Kaufleute, Missionäre oder
Beamten seien, von denen sie nicht ohne Grund yoraussahen betrogen,
getauft oder höher besteuert zu werden, bestätigt fanden,
als sie sahen, dass wir keine Geschenke erwarteten und Alles bezahlten,
da schwand ihre Zurückhaltung und wir hatten eigentlich
nie Grund zu klagen. Die Bedrückungen seitens der Europäer
haben auch das Wesen der Eingebornen verändert und ihm jenen
Stempel des verschlossenen Hinbrütens, der Trägheit und Theil-
nahmlosigkeit verliehen, der so leicht als Stumpfsinn gedeutet
werden kann, und welchen man geneigt ist, auf Rechnung ihres
mühseligen armen Lebens zu bringen. Bei längerem Verkehr mit
den Eingebornen merkt man indess, dass es ihnen keineswegs an
Frohsinn fehlt. Selbst auf anstrengenden Tundrareisen .pflegten
unsere Ostiaken stets monotone Weisen vor sich hinzusummen und
unsere Bootsmannschaften zeigten sich sehr häufig als ein fröhliches
Völkchen, das harmlos mit einander scherzte und recht herzlich
zu lachen verstand. Nur ein paar Mal kam es zu Wortstreit,
der aber nie in Thätlichkeit ausartete. Uebrigens fand ich die Ostiaken
in ihren' Gesprächen minder laut als Lappen. Die unverdrossene
Heiterkeit unseres Haiwai habe ich bereits erwähnt. Ueberhaupt
scheinen die Samojeden im Allgemeinen lebhafter, namentlich behender.
Die unverkennbare Zaghaftigheit, Furcht und Scheu beim
ersten Begegnen, eine nothwendige Folge der Verhältnisse, schwindet
beim längeren Zusammenleben und entspringt keineswegs aus Angst.
Wenn auch die Eingebornen keine Helden in unserem Sinne smd,^
so wohnt ihnen immerhin Muth inne, denn solcher gehört am Ende
dazu um es im Kampfe mit dem Könige der hiesigen Wälder, dem
Bären, aufzunehmen. Mit gleich unvollkommenen Waffen würde
mancher Nimrod bei uns wahrscheinlich zurückstehen.
Dass Menschen, welche so viele, höheren Gesittungszuständen
ebenbürtige, gute Eigenschaften besitzen, nicht ohne geistige I ähig-
keiten sein können, durfte von vorn herein angenommen werden.
Allein die Beurtheilung ist durch die einseitige Benutzung der
älteren Quellen, denen man so häufig nur das Absonderliche, weil
am interessantesten, entnahm, sehr getrübt worden und hat imge
Anschauungen bis jetzt weiter verbreiten helfen. Wenn die ersten
Russen, welche mit Samojeden zusammenkamen, die letzteren wegen
ihrer Gewohnheit rohes Fleisch zu verschlingen verabscheuten, so
darf man sich nicht wundern, dass sie Isbrants Ides als eine Art
Canibalen vorkamen. Virchow’s Bemerkung über einen Schädel:
„Die Kieferbildung erinnert an den Schimpanse“, wird hoffentlich
spätere Schriftsteller nicht veranlassen, die' ohnehin so oft
falsch beurtheilten Ostiaken und Samojeden, auch m geistiger Beziehung
auf die Entwicklungsstufe menschgewordener Affen herabzuwürdigen.
Derartige aus dem Zusammenhänge herausgerissene
Auslassungen erster Autoritäten, werden nur zu gern von gewissen
popularisirenden Schriftstellern benutzt, um subjectiven Ansichten
als Relief zu dienen. Solche der Erfahrung entbehrende Sub-
jeetivität ist daher mit Urtheilen wie „der Ostiak steht auf der
denkbar niedrigsten Stufe u. s. w.“ leicht bei der Hand. Wenn
auch nicht geläugnet werden kann, dass diese Eingebornen bisher