Schalter als Stütze dienen und hatte in dieser nichts weniger als
beneidenswerthen Position, bis an die halben Schenkel im eiskalten
Wasser stehend, nach unseren Begriffen hart für sein Ungeschick
zu hüssen. Denn der Kosak ritt nach einem Dorfe und kam erst
nach fast dreiviertel Stunden mit Leuten und Hebebäumen wieder,
während welcher Zeit wir unsere Pferde zu halten hatten, welche
wiederholt Miene machten ins Dorf zurückzukehren. Nachdem der
Wagen ausgeladen war versuchte man ihn mittelst der Hebebäume
flott zu bekommen, aber erfolglos. Hierauf wurden drei Pferde gleich
mit'den Schwänzen an den Wagen geknotet, um ihn auf diese Weise
herauszuziehen. Da dieses Mittel aber ebenfalls nichts half, musste
wieder ein Berittener nach dem Dorfe geschickt werden.
Wir hatten inzwischen genügend Zeit die Heftigkeit eines
Steppensturmes zu empfinden und konnten uns wenigstens annähernd
eine Idee machen was ein „Buran,“ wie derselbe genannt wird, bedeutet.
Man hatte oft Mühe sich aufrecht zu erhalten und wir
fürchteten jeden Augenblick unsere Tarantass umgeworfen zu sehen.
Gegen einen wirklichen Buran*), d. h. Winterschneesturm mochte
der unsere freilich noch sehr bescheiden zu nennen Sein, aber eine
mehr phantasiereiche Feder als die meine, konnte hinlänglich Stoff
zu einer lebhaften Schilderung, bei der es die Leser und Zuhörer
kalt überläuft, sammeln. Zehn mit 6 Hebebäumen bewehrten Männern
und 6 Pferden gelang es endlich den Wagen herauszuziehen und
nachdem das Gepäck wieder eingeladen war konnte die Reise
weiter gehen.
Ich habe diese kleine Episode nur desshalb eingehender behandelt
nm zu zeigen, welche unerwarteten Hindernisse nnd Aufenthalte
den Reisenden in Sibirien anf den grossen Verkehrswegen
treffen können. Diejenigen, welche durch Achsen- oder Radbrüche
entstehen, und von welchen wir auf dieser Tour wol ein halbes
Dutzend zu erleiden hatten, sind bei Gefährten wie den unsrigen
ohnehin unausbleiblich. Während man sonst in Sibirien beim Em-
und Ansgang fast jedes Dorfes eine Schmiede antrifft, sind dieselben,
wie schon vorher erwähnt, in den Kosakendörfem eine Seltenheit
*) So führt v. Helmersen („ßeise nach dem Ural nnd der Kirghisenst.“ in:
Beiträge z. Kenntnis« d. Buss. Reiches n. s. w. 5. Bdchn. 1841. p. 166) an, dass
ein Bnran im Jahre 1827 der inneren Kirghisenhorde 10,500 Kameele, 280,000
Pferde, 30,000 Hornvieh und 1,0,12000 Schafe vernichtete nnd nach Stumm machte
ein Bnran im Februar 1840 den Feldzug Perowsky’s gegen Chiwa zu schänden.
und dabei meist von einer Primitivität der Einrichtung, die mir
bis jetzt nicht vorgekommen war. Der Umstand, dass Steppenpferde
nicht beschlagen werden und kein grösser Fuhrverkehr stattfindet
mag wohl die Ursache sein. Aber es lag nicht immer an der elenden
Einrichtung der Werkstatt, sondern hauptsächlich mit an der Ungeschicklichkeit
der Leute. Als ich im Jahre 1872 im Indianer
Territorium der „sieben Nationen“ umherstreifte war ich in Vmeta
Augenzeuge wie ein alter deutscher Landsmann, ohne jede Hilfe m
Zeit von dreiviertel Stunden, einen Reifen an ein grosses Rad schweisste,
und die Einrichtung seiner Schmiede konnte auch nicht als Musteranstalt
gelten. Aber der gute alte Schmidt in Petorischskaja war
trotz eines allerdings weiblichen Gehilfen, einer grässlich aussehenden
alten Kirghisin, überhaupt nicht im Stande diese Arbeit fertig zu
bekommen. Die Erdhöhle, welche als Schmiede diente enthielt
freilich ein so schwaches Feuer, dass es nicht möglich war einen
Radreifen glühend zu machen, und die beiden löcherigen Apparate,
welche Blasebälge vorstellen sollten, waren auch nicht geeignet
grössere Hitze zu erzielen, aber der brave Vulkan hatte überhaupt
keine Idee wie ein Radreif angeschweisst wird. Meine Indianererfahrung,
dass man mittelst Holzfeuer sehr leicht den ganzen Reif
auf einmal glühend machen und in einem mit Wasser gefüllten
Loche abkiihlen könne, damit er sich fest ans Holz schmiege, fand
daher taube Ohren und ich war schliesslich froh, dass der Biedermann
überhaupt im Stande war mittelst eiserner Bänder den Reifen noth-
dürftig anzuflicken. Während dies geschah weilten meine Gedanken
unwillkürlich bei dem deutschen Indianerschmiede in Vineta und ich
konnte nicht umhin Vergleiche anzustellen. Dieser halb kirghisisch-
halb russische Schmidt, der einzige weit und breit, war eben froh,
dass er in Mitten reichen Landes sein Leben fristen konnte. Sein
College westlich vom Missisippi, obwohl schon ein Siebenziger, hatte
sich in kaum einem Jahre schon 700 Dollars als erspart zurückgelegt
und dabei nicht schlecht gelebt. Aber freilich waren die Farmen
dieser halbcivilisirten Tscherokis doch noch ganz etwas anderes als
Kosakendörfer.
Als wir am 27. April gegen Abend 7 Uhr in Podpusknaja mit
einer geliehenen Achse ankamen, weil in der vorhergehenden Station
kein Schmied war und nun hier schleunige Hilfe erwarteten, lernten
wir einen neuen Uebelstand dieser Werkstätten kennen, auf den wir
am allerwenigsten gerechnet haben würden. Der Schmied konnte
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