Jekaterinenburg ist ohne Zweifel die schönste unter den sibirischen
Städten, welche wir sahen, und seine Reihen stattlicher
Häuser und Bazare, seine hübschen Kirchen können in der That
fast imponiren. Leider steht damit die grässliche Beschaffenheit der
Strassen nicht im Einklänge, deren entsetzlichen Zustand wir erst
am anderen Morgen in seiner vollen Grösse sahen. Da handelte es
sich nicht* um besonders vernachlässigte Strassen, nicht um einzelne
Löcher und heillose Stellen, sämmtliche Strassen und Plätze waren
mit einer breiartigen Kothmasse wie ausgegossen. Es sah aus,, als
befände sich diese Masse, wie Asphalt, im Abkühlungsprocesse und
werde jeden Augenblick erhärten; aber sie erhärtete nicht, sondern
Fuhrwerke aller Art quälten sich, ihre Insassen über und über mit
Schmutz bewerfend, oft achsentief in dem Breie weiter. Bei der
unmittelbaren Nähe prächtiger Granitbrüche hatte man hier und
da freilich grosse Trottoirplatten'angefähren, auch Steine, um die
Fahrstrasse zu verbessern, aber in beiden Fällen mit einér peinlichen
Rücksicht auf den augenblicklichen Zustand, als fürchte man
im Voraus, denselben jemals bemeistern zu können. Und doch wird
es nichts helfen; man wird einmal den Anfang und zwar mit aller
Energie machen müssen, will man überhaupt eine Aenderung und
Besserung anbahnen. Aber freilich soll der Grund auf welchem die
Stadt erbaut ist sehr goldhaltig sein, und vielleicht will man aus
diesem Grunde nicht die Schätze noch mehr unzugänglich machen?
Unter der gütigen Leitung des Herrn Weinberg’ besuchten wir
diesmal nicht die grosse kaiserliche, sondern einige Privatsteinschleifereien,
welche hier, in ganz anderer Weise als in Kolywan,
eine wirklich sehr bedeutende Industrie entwickelt hüben, ganz besonders
die von Wsewolod und Wassily Kalugin. Vor Allem sind
es die verschiedenen Bijouterie- und Luxusartikel in Malachit,
welche in seltener Schönheit und dabei zu, nach unseren Begriffen,
billigen Preisen verfertigt werden. So kostet z. B. eine prachtvolle
runde Malachit-Tischplatte von l$/¿ Arschin (42") im Umfange
2Ö0 R.; hübsche Kästchen 7—10 R. Von besonderer Schönheit
sind die Schmuckgegenstände aus einfach hellgrünem Malachit, De-
midowit genannt, der theuersten Sorte, von dem das Rohmaterial
schon in Nishnej Tagil mit 8 Rubeln das Pfund bezahlt wird.
Tadellos sind ebenfalls die Arbeiten in Bergcrystall und schönem
Rauch töpas, als Petschafte u. dergl., aber in der Regel lassen die
Formen viel zu wünschen übrig, wie man im Ganzen wenig Geschmack
entwickelt. Namentlich gilt dies auch in Bezug auf die
Mosaikarbeiten, die durehgehends weit hinter denen der Italiener
zurückstehen und oft geradezu hässlich sind. Dagegen bilden jene
reizenden Briefbeschwerer, welche, auf einer Platte liegend, Gruppi-
rungen von Früchten und Beeren in natürlicher Grösse, aus entsprechend
gefärbten Steinen, zeigen, eine besondere Specialität des
hiesigen Kunstgewerbes. Aber auch hier könnte feinerer Geschmack,
bessere Auswahl in Dessin und Farbe weit Vollkommeneres und
Schöneres leisten. Der Preis solcher reizenden Nippgegenstände
schwankt von 20—-*100 und mehr Rubel. Dabei ist es sehr peinlich
für den Fremden, dass die Händler fast • durehgehends Vorschlägen,
man also abzudingen gezwungen ist. Halbedelsteine zu
Ringen, Ohrringen, Knöpfen u. dergl. kann man hier ebenfalls in
-ausgezeichneter Güte und verhältnissmässig billig kaufen, aber nur
der Zufall verschafft einem Durchreisenden wirklich schöne Berylle,
Aquamarine u. s. w. Uralische Amethyste können es an Farbe,
Feuer und Billigkeit übrigens nicht entfernt mit brasilischen, wie
man sie bei uns kauft, aufnehmen.
Angesichts der Nachricht, dass am 19. October der letzte"
Dampfer von Perm nach Nishnej abgehen werde, nnd im Vollgefühle
der Wegelosigkeit, die wir . zu erwarten hatten, mussten wir
die freundliche Einladung der „Uralischen Gesellschaft von Freunden
der Naturwissenschaften“, ihrem Jahresfeste beizüwohnen, leider
ausschlagen und fuhren am 15. Vormittags weiter. Mit der Genug-
thuung, dass dies hoffentlich die letzte Strecke sein werde, die wir
unter dem Krummholz des Dreigespanns noch zu schmachten hatten,
ergaben wir uns voll innerer Zuversicht in unser Schicksal. Kannten
wir doch alle die Leiden, die Zufälligkeiten, welche uns erwarteten,
aus eigener Erfahrung zur Genüge. Reisende, denen wir hinter
Tjumen begegneten, hatten nicht zu viel gesagt, wenn sie den Zustand
der Strasse zwischen Jekaterinenburg und Perm als einen
geradezu entsetzlichen schilderten. Da wurden alte Erinnerungen
der Hinreise nur zu lebhaft ins Gedächtniss gebracht, leider nicht
fröhliche, sondern schmerzliche. Und zwar im vollen Sinne des
Wortes, denn die Stösse und Erschütterungen sind oft so, dass
man sie im ganzen Leibe, gleich einem elektrischen Schlage von
der Zehenspitze bis ins kleine Gehirn spürt; fehlte es uns doch eben
an schützenden Federkopfkissen.
Freilich hatten wir es immer noch besser als die Deportirten,