Und, ebenfalls nach echt russischer Sitte, fehlte auch ein Badehaus
nicht, das heisst jene Anstalt, in welcher man in heissen Dämpfen
und mit kaltem und warmem Wasser begossen, gelinde gedunstet
wird. Die ganze Anlage, Haus, Pier und Badehaus, hatte zweihundert
Rubel gekostet, allerdings nur an Arbeitslöhnen, denn
Bäume brauchten ja nur in nächster Nähe gefällt zu werden.
So richteten wir uns denn ein so gut es gehen wollte und
nahmen von der guten Lotka für immer Abschied. Hatten wir
doch auf dem „Bismark“ mehr als 2500 Werst (c. 360 d. M.) zurückgelegt
und auf der letzten Strecke von Obdorsk allein 22 Tage
zugebracht, eine Zeit in der man unter Umständen den Atlantischen
Ocean von Southampton bis New-York zweimal kreuzen kann. So
lieb uns die auf dem „Bismark“ verlebten Tage auch immer bleiben
werden, wir freuten uns immerhin ihn verlassen zu können, denn
der Herbst brach herein und der Aufenthalt in der Lotka wurde
mehr und mehr frostig. Obwol wir auf der ganzen Reise von
Obdorsk trotz dem eifrigen „Windpfeifen“ des alten Djadja kaum
mehr als ein paar Stunden segeln konnten, vielmehr stets mit Gegenwind
kämpfen mussten, hatten wir doch den Triumph von keinem
Dampfer eingeholt worden zu sein, wie man in Obdorsk mit aller
Bestimmtheit voraussagte. Schon damals waren 2 Dampfer stromab
gegangen und wurden jeden Tag zurückerwartet, aber glücklicher
Weise liessen wir uns nicht irre machen. Auf der ganzen 22tägigen
Stromfahrt waren uns übrigens nur 3 Lotken und ein Dampfer (der
„Sajus“) begegnet. Einen zweiten hatten wir am 24. unterhalb
Jelisarowskaja passirt, er sass „wie auf grüner Au“ fest. Glücklicher
Weise war es den Anstrengungen von etlichen 40 Arbeitern,
unter der Leitung eines geschickten Zimmermeisters aus Tobolsk gelungen,
den Dampfer abzubringen- und. man konnte es ihnen nicht
verdenken, dass sie das freudige Ereigniss feierten, war es doch
„Prasnik“ obendrein. Wie mir gesagt wurde hatte das Unternehmen
4000 R. (?) eingebracht, die Leute also jedenfalls Geld verdient.
Ich genoss das Vergnügen sie von Semzoff’s Hause aus
feiern, also einmal ein gründliches Trinkgelage in Wotki zu sehen,
Die fröhliche Schaar, in Gruppen zu zehn bis zwölf Mann vertheilt,
lagerte auf der Strasse. Ein Vormann jeder Abtheilung
hielt eine mächtige viereckige Flasche, die viele, viele unserer
Flaschen fassen mochte, denn sie stand einem Demijohn an Grösse
wenig nach, und schenkte aus derselben das herrliche Nass, Schnaps
genannt, in Biergläsern aus. Anfangs herrschte eine gewisse feierliche
Stimmung. Der Einschenker hatte das Haupt entblösst und
Jeder, dem er kredenzte that dasselbe, bekreuzte sich, trank das
Glas in einem Zuge leer, verzog das Gesicht, spuckte aus, und ein
Anderer folgte in derselben Weise. Nur die Tataren liessen selbstredend
das Zeichen des Kreuzes bei diesem profanen Geschäfte weg,
aber auch die guten Christen folgten bald diesem Beispiele. Beim
dritten Glase nahm keiner mehr die Mütze ab, machte keiner mehr
ein Kreuz, lustige Gesänge ertönten und jene Papieros glimmten,
in deren Anfertigung schon der jüngste Jemtschik auf dem Bocke
der Tarantass eine staunenswerthe Fertigkeit entwickelt. Als Einlage
dieser Glimmstengel dient ein scheusslicher, aber für diese
Leute göttlicher südrussischer Landtabak, als Decker irgend ein
beliebiges Stück Papier, wenn es nur recht stark ist. Aus diesem
Grunde fand die „Kölnische“ immer mehr Liebhaber als die Petersburger
Zeitung, und nur die in Fett* getränkten Hüllen unserer
comprimirten Suppen wurden zwar versucht, aber stets zurückgewiesen.
Bei Gesängen und dem Genuss des Tabakskrautes mit
Papier blieb es übrigens nicht. Mit dem vierten Glase wurde ein
lustiges Tänzchen nach Kosakenart ärrangirt und beim fünften
„giebts Scbläg’, dass die Haar’ davon fliegen“, wie es in dem alten
Studentenliede schon sehr richtig heisst. Ueberhand nehmender
Taumel brachte später die Streiter auseinander, die dann an irgend
einem geschützten Plätzchen ihren schweren Kampf mit Gott
Fusel austräumten, um wahrscheinlich anderen Tags dasselbe Spiel
wieder zu beginnen, bis die Rubel, die Kopeken verjagt sind.
Obgleich Samarowa als Station nur von' den Ignatoff’schen
Dampfern angelaufen wird, so versicherte man uns, dass auch jeder
andere auf ein Zeichen von uns halten werde. Und „fast jeden
Tag kommt ein Dampfer“, hiess es, was seine Richtigkeit hatte,
denn wirklich passirten 5 Dampfer, aber stets in der entgegengesetzten
Richtung, und so mussten wir geduldig ausharren. Wir
füllten unsere Zeit meist mit Schreiben aus, denn das Wetter
(Regen, Wind) war der Jagd im Ganzen nicht günstig. Ausserdem
durften wir uns ja picht weit entfernen, da jede Stunde ein Dampfer
eintreffen konnte. So lernten wir nur die nächstliegenden bergigen
rechten Ufer des Irtisch kennen. Dieselben bieten das Bild der
Verheerungen des Hochwassers in der vollendetsten Form, namentlich
an der Krümmung des Flusses oberhalb unseres Häuschens.
F i n s c k , Reise. I. 4 0