den Gebäuden bedenklich nahe gerückt. Der Fluss arbeitet ununterbrochen
an diesen Steilufern und hat schon grosse Veränderungen
zu Wege gebracht (vergl. Rose I. p. 487). Schon
Gmelin hielt (1733) die Lage der oberen Stadt für bedroht und
empfahl das Hochufer durch Faschinen zu schützen, was indess
wol unterblieben sein dürfte. Die Stadt zählt an 18,000 Einwohner
(18,481 Schwanebach), besitzt zahlreiche, in glänzenden Kuppeln
prangende, stattliche Kirchen, an deren Thüren wir zuerst wieder
Bettler sahen, auch ein bescheidenes protestantisches Kirchlein und
eine Menge hübscher massiver Häuser, obwol die Mehrzahl derselben,
wie üblich, aus Holz errichtet ist. Die Strassen selbst sind ebenfalls
mit Bohlen belegt, was nicht durchgehends zu deren Passir-
barkeit beiträgt und eine ansbrechende Feuersgefahr jedenfalls nicht
verringern dürfte, wie ja Tobolsk von manchem grossen Brand
heimgesucht wurde. Auch ein Theater besitzt Tobolsk, sowie ein
Monument, dem grossen Eroberer Jermak zu Ehren errichtet.
Wir sahen dasselbe als wir in die obere Stadt hinauffuhren um
dem Herrn Gouverneur persönlich unseren Dank abzustatten. Leider
waren Excellenz verreist, aber der Herr Vice-Gouverneur. so gütig
uns zu empfangen.
Seitdem der Sitz des General-Gouverneurs nach Omsk verlegt
wurde, hat Tobolsk offenbar sehr verloren, ebenso dadurch, dass der
grosse sibirische Tract die Stadt nicht mehr berührt und dass es
nicht mehr der ,,Prikas-o-ssylnich,“ d. h. Centralsammelpunkt, der
Deportirten ist. Unter letzteren haben sich die, in Folge der
Revolution verwiesenen, Polen, wie überhaupt Sibirien, sehr zum
Vortheil erwiesen, indem sie dem Lande eine Menge nützlicher und
gebildeter Elemente zuführten, wodureh manche Gewerbe zuerst
selbstständig betrieben wurden. Von den 1800 Polen, welche nach
der Revolution in Tobolsk lebten, sind nur noch 300 anwesend ; die
übrigen benutzten grösstentheils die Gnade des Kaisers um in die
Heimath zurückzukehren, obwol es Manche zu Etwas gebracht
hatten.
Durch Polen war u. A. eine eigenthümliche Industrie eingeführt
worden, die wol der Entwickelung werth gewesen wäre und
auf welche die Verbannten wahrscheinlich im fernen Osten durch
die Tungusen gebracht worden waren. Ich meine jene niedlichen
aus Birkenrinde verfertigten Galanteriegegenstände, als Cigarren-
und Streichhölzdosen, Albumdecken, Kästchen u. s. w., die selbst
auf dem europäischen Markte, besonders bei den billigen Preisen,
Liebhaber finden würden. Wir gaben uns viele Mühe den alten
Polen zu entdecken, der jetzt noch der einzige Träger dieser Industrie
sein soll, aber vergeblich. Diese Sache führte uns aber in das
Atelier eines' anderen Künstlers, ebenfalls eines Polen, der sehr
hübsche und kunstvolle Sachen, Brochen, Cigarrendosen etc. aus
Mammuth schnitzte. Bei diesen Streifzügen durch die Stadt fiel
mir die grosse Anzahl Kühe auf, welche besonders in den Abendstunden
von der Weide zurückkehrend vor den Hofthoren auf Einlass
warteten oder sich denselben zuweilen sehr geschickt selbst zu
verschaffen wussten. Es überraschte mich daher nicht wenig später
zu finden, dass Gmelin schon 1733 diese Erscheinung mit den
Worten erwähnt: „Ich habe noch keinen Ort gesehen, wo mehrere
Kühe in den Strassen herumlaufen, sogar des Winters; wo man
geht und steht, sieht man Kühe.“ Es scheint also in dieser Beziehung
beim Alten geblieben zu sein!
Ich besuchte den Bazar, an dessen ausgedehnte, meist steinerne
Kaufhallen sich der eigentliche Markt von Lebensmitteln anschliesst.
Unzählige Bauemfuhrwerke boten hier die Erzeugnisse des Feldes,
des Waldes und der Jagd aus. Bemerkens werth war’ die Menge
schönen Krautes, Zwiebel und Kürbisse, aber auch Wassermelonen
fehlten nicht. Sie kamen von Omsk und kosteten das Stück fünfundzwanzig
Kopeken. Federwild gab es in grösser Menge; ausser
zahmen, als Hühnern und Gänsen, besonders wilde Enten, Auer-,
Birk-, Schnee- und Haselhühner. Ein Auerhahn kostete dreissig,
ein Birkhahn fünfzehn, das Paar Haselhühner sechzehn, das Paar
Krickenten zehn Kopeken. Auch der Fischmarkt war nicht unbedeutend.
Es war übrigens unsere Schuld, dass wir kein besseres Unterkommen
gefunden, denn wir hatten es unterlassen vorher unsere
Ankunft zu melden, sonst würde man uns in einem Privathause
einquartiert haben. Wir konnten indess dem Polizeimeister und
dem Stadthaupt (Bürgermeister, Gorodnitschy) Wassili Dimitri
Scharnikoff, welche Herren so freundlich waren uns aufzusuchen,
die beruhigende Versicherung geben, dass wir ganz zufrieden seien.
Die Hotelwohnung kam uns übrigens in anderer Weise zu Statten.
So sahen wir nach langer Zeit wieder zum ersten Male eine Dame
in der feinsten Toilette nach neuestem Pariser Modell gekleidet.
Es war die Primadonna der verflossenen Oper, deren Director vor
Finsch, Reise. I. 4 1